Im Juni hat das Frachtschiff „Fehn Pollux“ mit einem neu entwickelten Flettner-Rotor, der wie ein Segelantrieb wirkt, seinen Betrieb aufgenommen. Dadurch soll der Kraftstoffverbrauch erheblich reduziert werden. Der Prototyp wird die nächsten zwölf Monate von Ihnen wissenschaftlich begleitet. Können Sie uns etwas zum Status Quo des Projektes sagen?
Die Erprobung läuft außergewöhnlich erfolgreich. Das System funktioniert voll automatisch und wir sammeln wertvolle Betriebserfahrung sowie Daten. Die erste Datenanalyse zeigt uns, dass die erzeugte Schubleistung sogar höher ist als bisher angenommen. Wir werden das gesteckte Ziel einer Einsparung um mindestens 10 Prozent ohne Mühe erreichen können. Mithilfe einer neuen parallel entwickelten Routenoptimierungssoftware sind weitere Einsparungen möglich. Das Konzept ist auf einen großen Anteil der Handelsflotte übertragbar. Hier haben wir ein gutes Beispiel für zukunftsfähige Technologien und solide Entwicklungsarbeit.
Hat Wind- und Sonnenenergie das Potenzial, Schiffsantriebe, die auf Mineralölkraftstoffen basieren, vollständig zu ersetzen?
Ich möchte es zumindest nicht ausschließen. Die Folge wäre aber ein wesentlich langsamerer Transport. Langfristig könnten sich interessante Perspektiven auch bei der Kombination mit autonomer Schifffahrt ergeben, da hier erhebliche Kostensenkungen möglich sind. Kurz- und mittelfristig benötigen wir Hybridantriebe als Zwischenschritt. Bei steigenden Kraftstoffkosten wird die Nutzung der verfügbaren Wind- und Sonnenenergie immer wirtschaftlicher.
Gerade die Windenergie mit ihrer hohen Energiedichte ist auch für die Großschifffahrt interessant. Solarantriebe stellen Lösungen für kleine leichte Fahrzeuge bereit, zum Beispiel Personenfähren. Zukünftige Schiffsentwürfe könnten die Verwendung von Segelantrieben und Solarpanelen wesentlich besser unterstützen, sodass das Einsparpotenzial deutlich höher liegen kann. In Kombination mit langsameren Fahrprofilen, smarter Reiseoptimierung und einem effizienten Schiffsbetrieb können wir dann die genannten Einsparziele der IMO auch erreichen.
Der Seeverkehr verursacht rund 2,2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – 800 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid pro Jahr. Die IMO hat das Ziel ausgegeben, dass bis zum Jahr 2100 nur noch emissionsfreie Schiffe unterwegs sein sollen. Glauben Sie an die Umsetzbarkeit dieses Plans?
Hierzu ein deutliches „Ja“. Wir neigen dazu, die Zukunft immer aus heutiger Sicht mit den heute verfügbaren Technologien zu betrachten. Wir sollten versuchen, uns vorzustellen, ob wir vor über 80 Jahren die heutigen Technologien für möglich gehalten hätten. Bei diesem Gedankenexperiment muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass wir eine gewaltige Beschleunigung der Entwicklungsprozesse erleben. Daher dürfen wir zuversichtlich sein, die anstehenden Aufgaben lösen zu können.
Ich sehe das Risiko eher in den politischen Prozessen, die die Rahmenbedingungen setzen müssen. Hier erleben wir häufig erhebliche Bremskräfte, die den Bestandsschutz derzeitiger Geschäftsmodelle verfolgen oder auch durch diffuse Zukunftsängste verursacht werden. Wir müssen ein positives Klima für Veränderungen schaffen und Lust auf eine spannende Zukunft wecken. Als Hochschule versuchen wir, hier als Vorreiter zu wirken.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Vahs. (aho)
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Interviewpartner
Michael Vahs
Professor für technische Schiffsführung und Simulation, Entwicklung des Forschungsbereichs „Green Shipping“ mit Schwerpunkt in nachhaltigen Schiffsantrieben am Fachbereich Seefahrt & Maritime Wissenschaften der Hochschule Emden / Leer.
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