Michael Vahs, Hochschule Emden/Leer: Kurs auf Green Shipping - Wie umweltfreundlich ist die Seefahrt?

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Nicht nur auf der Straße sind umweltfreundliche Antriebe inzwischen das Thema Nummer eins: Auch ­Reedereien, Werften und Hafenbetreiber müssen sich immer mehr mit der klimaverträglichen Seefahrt, dem sogenannten „Green Shipping“, auseinandersetzen. Wo steht die Branche in Sachen Umwelt­schutz aktuell? Wir haben bei Professor Kapitän Michael Vahs, Projektleiter für „Green Shipping“ am Fachbereich Seefahrt und Maritime Wissenschaften der Hochschule Emden / Leer, nachgefragt.

Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal Ausgabe 06/2018 erschienen.

 

Herr Professor Vahs, die Hochschule ­Emden/Leer, deren Fachbereich Seefahrt und ­Maritime Wissenschaften Sie betreuen, ist seit September 2015 Projektpartner des Kompetenzzentrums GreenShipping Nieder­sachsen. Dort wird an einer umweltbewuss­teren und sichereren Schifffahrt geforscht. Welche Entwicklungen konnten Sie seitdem begleiten?

Michael Vahs: Die Arbeiten laufen zweigleisig. Zum einen geht es um eine Verbesserung der Informationsstrukturen, vor allem durch Netzwerk­bildung in der maritimen Wirtschaft und Industrie. Darüber hinaus sollen aber auch thematische Akzente durch ­Forschungsprojekte gesetzt werden. Unsere Hochschule entwickelt in diesem Forschungsrahmen den sogenannten „GreenSailer“, ein Multifunktions­schiff für Ladungstransporte, Passagiere und maritime Ausbildung. Das Schiff soll mit einem innovativen Wind­hybridantrieb ausgerüstet werden, der für sehr nied­rige Emissionswerte sorgt. Wir bringen viele Vorarbei­ten in dieses Projekt ein und hoffen, dass es im Folgeschritt zu einer baulichen Um­setzung kommen wird. Investoren sind willkommen.

„Der entscheidende Punkt ist nicht die absolute Emis­sion, sondern mehr die re­lative Emission. Und da sind Schiffe das umwelt­freundlichste Transport­mittel, was wir haben.“ Das sagt Pierre Sames, der Leiter des Technologie- und Forschungsbereichs des Schiffszertifizierers DNV GL. Steht die interna­tionale Seefahrt in Sachen Umweltverschmutzung zu Unrecht in der Kritik?

Es ist richtig, dass Schiffe im Ver­hältnis zur Transportleistung re­lativ wenig Energie benötigen und somit von Natur aus einen Vorteil haben. Dieser Vorteil be­ruht auf dem physikalischen Prinzip und ist nicht der Verdienst von Werften und Schifffahrtsunternehmen. Daher sollte sich die Schiff­fahrt nicht zurücklehnen. Ganz im Gegenteil müssen sich alle Beteiligten am Fort­schritt messen lassen. Und hier schneidet die Schiff­fahrt gegenüber anderen Industrien und Transportsys­temen nicht sehr gut ab, es gibt Aufholpotenzial.

Vor allem bei Kurzstreckenschiffen, Fäh­ren und Freizeitbooten gibt es aber bereits Erfolgsmeldungen, was die Umstellung auf umweltfreundliche – oftmals auch rein batterie­elektrische – Antriebe betrifft. Bei Frachtschiffen mit gigantischen Ladekapazi­täten und tonnenschwerem Eigengewicht ist das aktuell noch Utopie. Funktioniert Elektro­mobilität auf See nur im kleinen Maßstab?

Das Problem der Elektromobilität auf See ist in der Tat die Speicherung von Energie. Für große Frachtschiffe im Langstreckenverkehr reichen heutige Bat­teriekapazitäten bei weitem nicht aus. Eine Zukunftslösung könnten stromba­sierte Kraftstoffe sein, die dann zum Beispiel von Brennstoffzellen wieder in elektrische Energie verwandelt werden. Somit scheint der Elektroantrieb als Grundtechnologie, sehr zukunfts­fähig zu sein. Die Stromerzeugung kann dann schrittweise auf regenerative Quellen umgestellt werden, ohne das Antriebskonzept zu verändern.

Es existieren bereits diverse Umweltauf­lagen für den Seeverkehr, die in Zukunft noch verschärft werden: Die Internationale Seeschifffahrts-­Organisation (IMO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, hat die Senkung der CO2-Emissionen im internatio­nalen Schiff­verkehr bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 beschlossen. ­Außerdem darf ab dem 01.01.2020 im internatio­nalen See­verkehr nur noch Treibstoff verwendet werden, der maximal 0,5 Prozent des gesundheits- und umweltschädlichen Schwefel­oxids enthält.1 Wie bewerten Sie diese Ziele?

Die nun beschlossenen Ziele sind wie immer ein politi­scher Kompromiss. Um voll im Einklang mit den Pariser Klimazielen zu stehen, wäre eine stärkere Reduktion der CO2-Emis­sionen erforderlich. Wichtig ist nun, dass dieser Beschluss auch tatkräftig und zügig umgesetzt wird. Die Weichen müssen in den nächsten fünf bis zehn Jahren ge­stellt werden. Der Flottenumbau erfordert große Anstrengungen und wird auch nicht umsonst zu haben sein. Darüber müssen sich alle im Klaren sein. Verzögerungstaktiken bergen jedoch inakzeptable Risi­ken in sich. Aus wissenschaftlicher Sicht kann gesagt werden, dass die Ziele mit unseren technischen und operativen Möglichkeiten erreicht werden können.


Das International Council on Clean Trans­portation ICCT hat festgestellt, dass al­leine sechs Flaggenstaaten 52 Prozent der CO2-Emissionen verursachen: Panama, ­China, Liberia, Marshall Islands, Singapur und Malta. Wie kann man bei internatio­nalen Handelsrouten durch verschiedene Hoheitsgewässer sichergehen, dass sich je­der an die Auflagen hält?

Die IMO spricht von sogenannten marktbasierten Maß­nahmen, um die Ziele zu erreichen. Das könnte bei­spielsweise ein CO2-Aufschlag auf den Kraftstoff sein, der so bemessen ist, dass eine Schadenskompensa­tion erfolgen kann oder ein Förderfond für emissions­arme Technologien entsteht. Wenn man bedenkt, dass Schiffskraftstoffe in der internationalen Schifffahrt sehr bil­lig und steuerfrei sind, wäre solch ein Schritt sinnvoll und angemessen. Wer­den CO2-Emissionen teuer, wird es einen starken Schub in der Entwicklung alternativer Technologien geben. Solch ein Vorgehen muss jedoch international abgestimmt werden, um Schlupflöcher zu vermeiden. Es ist schwer vorstellbar, dass die Ziele der IMO ohne solch ein Instru­ment umgesetzt werden können.

Das ICCT konstatiert in seinem „­Greenhouse Gas Emissions from Global Shipping Re­port“, dass der höhere CO2-Ausstoß auch der gestiegenen Fahrtgeschwindigkeit („Speed over Ground“) von großen Öl­tankern und Frachtern geschuldet ist. Sollte es aus Klima­schutzgründen Tempolimits auf hoher See geben?

Ich sehe eine CO2-Abgabe als intelligentere Maß­nahme. Wer schnell fahren will und entsprechend Treibstoff verbraucht sowie Emissionen freisetzt, muss dann dafür extra bezahlen, als Schadenskompensation. Die Umsetzung erscheint auch einfacher als das Kon­trollieren von Geschwindig­keiten mit vermutlich jeder Menge Ausnahmeregelungen. Durch den erhöhten Kraft­stoffpreis wird sich die Ge­schwindigkeit der Schiffe von alleine senken.

Neben Hybridantrieben wird vor allem Flüssig­erdgas (LNG) zunehmend als Treib­stoff eingesetzt. Welche Vor-und Nachteile sehen Sie bei LNG?

Durch die Nutzung von LNG werden vor allem gesund­heitsschädliche SOx- und NOx-Emissionen gesenkt. Das kommt insbesondere den Hafen- und Küstenbewohnern zugute. Die Klimabilanz wird nicht ent­scheidend verbessert, Experten sehen in der gesamten Produk­tions- und Logistikkette so viel Methanslip, also freigesetztes Me­thangas, dass der etwa 20prozen­tige Vorteil in der CO2-Bilanz durch das sehr klimaaktive Methan aufgehoben wird. LNG stellt jedoch eine Ver­besserung gegenüber Schweröl und Destillaten dar und ist mittelfristig gut verfügbar.

Nachteilig sind die auf­wendige Infrastruktur an Land und die komplexe und teure Tanktechnolo­gie auf den Schiffen. Me­than muss auf ca. –160 °C heruntergekühlt werden. Möglicherweise bieten sich noch Alternativen für zukunftsfähige Kraftstoffe. Hier wäre vor allem das flüssige Methanol zu nennen, das nicht die genannten Nachteile aufweist. Bei Verwendung von Methanol wird der Aufwand in die Produktion verlagert, beispielsweise als Syntheseprodukt aus Methan. Die Infrastruktur an Land und auf den Schiffen bedarf kaum Änderungen.

In der Automobilbranche setzen einige Ak­teure viel Hoffnung in die Brennstoffzelle. Wäre das aus Ihrer Sicht ebenfalls eine sinn­volle Option für die Schifffahrt?

Erste Forschungs- und Entwicklungsprojekte beschäfti­gen sich bereits mit dem Einsatz von Brennstoffzellen auf Schiffen. Es gibt entscheidende Vorteile gegenüber Verbrennungsmotoren, zum Beispiel im Wirkungsgrad und in der Laufruhe. Die Speicherung großer Ener­giemengen wäre auch lösbar, Brennstoffzellen können mit Wasserstoff, LNG oder Methanol be­trieben werden. Zunächst wäre das eine Lösung für hochwertige Schiffe mit beson­deren Anforderungen, beispielsweise Kreuzfahrtschiffe oder Forschungsschiffe. Langfristig könnte die Brennstoff­zellentechnologie Verbrennungsmotoren ablösen.

Umweltfreundlich angetriebene Schiffe be­nötigen eine passende Infrastruktur im ­Hafen: Beispielsweise genügend Ladeports mit Starkstrom und LNG- bzw. Brennstoff­zellen-Tankstellen. Auch die Umrüstung der bestehenden Schiffsflotte auf umweltfreund­liche Antriebe fordert hohe Investitionen. Wie stark sollte die Politik die Reedereien hierbei finanziell unterstützen?

Vor allem sollte die Technologieentwicklung gefördert werden. Wir brauchen mehr Prototypenerprobungen. In der Erprobungsphase unter Realbedingungen gibt es steile Lernkurven, die für eine breite Einführung notwen­dig sind. Innovations­freudige Reedereien sollten hierbei auch unterstützt werden. Es gibt bereits eini­ge Möglichkeiten. In Anbetracht der bevorstehenden Aufgaben sollte hier zugelegt werden. Eine CO2-Abgabe auf fossile Schiffs­kraftstoffe wäre eine weitere sehr effektive Maßnahme, die den Kostenaufwand auch wirklich dorthin verlagert, wo das Problem entsteht. Neue emissionsfreie Techno­logien würden hiervon stark profitieren.


Im Juni hat das Frachtschiff „Fehn Pollux“ mit einem neu entwickelten Flettner-Rotor, der wie ein Segelantrieb wirkt, seinen Be­trieb aufgenommen. Dadurch soll der Kraftstoffverbrauch erheb­lich reduziert werden. Der Prototyp wird die nächsten zwölf Monate von Ihnen wissen­schaftlich begleitet. Können Sie uns etwas zum Status Quo des Projektes sagen?

Die Erprobung läuft außergewöhnlich erfolgreich. Das System funktioniert voll automatisch und wir sammeln wertvolle Betriebserfahrung sowie Daten. Die erste Datenanalyse zeigt uns, dass die er­zeugte Schubleistung so­gar höher ist als bisher angenommen. Wir wer­den das gesteckte Ziel einer Einsparung um min­destens 10 Prozent ohne Mühe erreichen können. Mithilfe einer neuen parallel entwickelten Routen­optimierungssoftware sind weitere Einsparungen möglich. Das Konzept ist auf einen großen Anteil der Handelsflotte übertragbar. Hier haben wir ein gutes Beispiel für zukunftsfähige Technologien und solide Entwicklungsarbeit.

Hat Wind- und Sonnenenergie das Potenzial, Schiffsantriebe, die auf Mineralölkraftstoffen basieren, vollständig zu ersetzen?

Ich möchte es zumindest nicht ausschließen. Die Folge wäre aber ein wesentlich langsamerer Transport. Langfris­tig könnten sich ­interessante Perspektiven auch bei der Kombination mit autonomer Schifffahrt er­geben, da hier erhebliche Kos­tensenkungen möglich sind. Kurz- und mittelfristig benötigen wir Hy­bridantriebe als Zwischenschritt. Bei steigenden Kraft­stoffkosten wird die Nutzung der verfügbaren Wind- und Sonnenenergie immer wirtschaftlicher.

Gerade die Wind­energie mit ihrer hohen Energiedichte ist auch für die Großschifffahrt interessant. Solarantriebe stellen Lösun­gen für kleine leichte Fahrzeuge bereit, zum Beispiel Personenfähren. Zukünftige Schiffsentwürfe könnten die Verwendung von Segelantrieben und Solarpanelen wesentlich besser unterstützen, sodass das Einsparpoten­zial deutlich höher liegen kann. In Kombination mit lang­sameren Fahrprofilen, smarter Reiseoptimierung und einem effizienten Schiffsbetrieb können wir dann die ge­nannten Einsparziele der IMO auch erreichen.

Der Seeverkehr verursacht rund 2,2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – 800 Mil­lionen Tonnen des Treibhausgases Kohlen­stoffdioxid pro Jahr. Die IMO hat das Ziel ausgegeben, dass bis zum Jahr 2100 nur noch emissionsfreie Schiffe unterwegs sein sollen. Glauben Sie an die Umsetzbarkeit dieses Plans?

Hierzu ein deutliches „Ja“. Wir neigen dazu, die Zu­kunft immer aus heutiger Sicht mit den ­heute verfügba­ren Techno­logien zu betrachten. Wir sollten versuchen, uns vorzustellen, ob wir vor über 80 Jahren die heuti­gen Technologien für möglich gehal­ten hätten. Bei diesem Gedankenexperiment muss zu­sätzlich berücksichtigt werden, dass wir eine gewaltige Beschleunigung der Entwicklungsprozesse erleben. Daher dürfen wir zuversichtlich sein, die anstehenden Aufgaben lösen zu können.

Ich sehe das Risiko eher in den politischen Prozessen, die die Rahmenbedingun­gen setzen müs­sen. Hier erleben wir häufig er­hebliche Brems­kräfte, die den Bestandsschutz derzeitiger Ge­schäftsmodelle verfolgen oder auch durch dif­fuse Zukunftsängste verursacht werden. Wir müssen ein positives Klima für Verän­derungen schaffen und Lust auf eine span­nende Zukunft wecken. Als Hochschule versuchen wir, hier als Vorreiter zu wirken.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Vahs. (aho)

 

  • MichaelVahs Maritim2018 170055   Kopie

    Interviewpartner

    Michael Vahs

    Professor für technische Schiffsführung und Simulation, Ent­wicklung des Forschungsbereichs „Green Shipping“ mit Schwer­punkt in nachhaltigen Schiffsantrieben am Fachbereich Seefahrt & Maritime Wissenschaften der Hochschule Emden / Leer.

  • Kurs Auf Green Shipping Screenshot

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