Zum Beispiel?
Koller: Der EZ10 hatte ursprünglich eine Straßenbahnklingel statt einer Hupe. Das musste geändert werden, weil laut StVZO hier eine solche Vorschrift besteht. Zudem war das Fahrzeug nur mit einem kleinen Scheibenwischer ausgerüstet, um das Blickfeld der Kamera freizuhalten – auch hier musste im Sinne der StVZO nachgerüstet werden. Außerdem mussten wir das Fahrzeug lichttechnisch für den Verkehr abrüsten. Zusätzliche Sicherheitstests haben wir beispielsweise für die Türschließkraft oder die Ausfahrrampe für den barrierefreien Zugang durchgeführt.
Matawa: Zudem haben wir eine Reihe von klassischen Sicherheitstests durchgeführt und entsprechende Prüfprotokolle erstellt. Ein Beispiel betrifft die rein elektronische Lenkung. Eigentlich brauchen Fahrzeuge nämlich eine durchgängig mechanische Lenkung – soweit die gesetzlichen Vorgaben. Für eine Ausnahmegenehmigung mussten also umfangreiche Tests durchgeführt werden, um die Sicherheit der elektronischen Lenkung zu gewährleisten. Was passiert beispielsweise, wenn – etwa aufgrund eines Defekts in der elektronischen Steuerung – die Lenkung bei Höchstgeschwindigkeit voll einschlägt. Das haben wir per Fault Injection bei Fahrversuchen überprüft und konnten dokumentieren, dass die Bremse das Fahrzeug schnell genug zum Stehen bringt, damit es die festgelegte Fahrspur nicht verlässt.
Weitere Fragestellung: Funktioniert die mechanische Vorspannbremse bei einem Stromausfall, wenn das Fahrzeug mit Höchstgeschwindigkeit und vollbesetzt unterwegs ist? Werden die gesetzlichen Vorgaben für den Verzögerungsweg dabei eingehalten? Wir haben das im Fahrversuch erfolgreich getestet und die Sicherheit mit unserem Gutachten für diesen Fall bestätigt. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die elektromagnetische Verträglichkeit bei einem Elektrofahrzeug mit Hochvolttechnologie. So mussten wir in unserem EMV-Labor einerseits sicherstellen, dass die Elektronik des Fahrzeugs durch magnetische Strahlung von außen nicht gefährlich beeinflusst werden kann. Andererseits darf die Strahlung des Fahrzeugs aber auch keine Schäden verursachen.
"Wie bei einer Südpol-Expedition" - Sachverständiger Benjamin Koller (li.) und TÜV SÜD-Projektleiter Robert Matawa
Wie wurden die einzelnen zu untersuchenden Szenarien festgelegt? Gab es da Vorgaben?
Matawa: Nein – das war ebenfalls eine Herausforderung und damit kommen wir gleich zu den Punkten Strecke und Use Case: Wir haben uns jeden Meter der festgelegten und per GPS überwachten Strecke genau angesehen – virtuell und real. Dabei haben wir mögliche Szenarien und Gefahren im Team erarbeitet und detektiert und dann Lösungen erarbeitet. Das war die Pionierarbeit, mit der wir die Grundlage für zukünftige Zulassungen dieser Art erarbeitet haben.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Matawa: Klassisches Beispiel: Auf der Strecke muss der Bus links abbiegen. Zwar im beruhigten Verkehr, aber immerhin. Das Fahrzeug ist mit allerlei Sensorik zur Umfelderkennung ausgerüstet, um Kollisionen zu vermeiden. Hätte er also beim Linksabbiegen keine freie Fahrt und stieße auf ein Hindernis, würde er anhalten und der Operator müsste ihn zunächst händisch wieder in Betrieb setzen. Um das zu umgehen und stets ein reibungsloses Linksabbiegen zu gewährleisten, haben wir verschiedene Möglichkeiten: Wir könnten in die Infrastruktur eingreifen und etwa eine Ampel errichten, die das Fahrzeug erkennt. Oder dem Bus von vornherein immer die Vorfahrt geben. Selbstverständlich könnte man das Fahrzeug technisch so konditionieren, dass es automatisiert selbst abbiegt. Oder man ändert die Strecke. Die Lösungen sind immer entweder technisch, infrastrukturell oder man muss die jeweilige Anwendung überdenken.
Stichwort Umfelderkennung. Wir haben festgestellt, dass die Sicherheitskette – also beispielsweise der automatische Stopp beim Erkennen eines Hindernisses – nicht aktiv ist, wenn der Operator das Fahrzeug manuell lenkt. Deshalb mussten wir sicherstellen, dass der Fahrer immer alle Informationen hat, die er zum Führen braucht. Das hat EasyMile mit zusätzlichen Kameras gelöst, einem Vorschlag von uns folgend.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie für sich mit aus dem Projekt, wenn Sie sagen, wir wollen gemeinsam mit den Herstellern automatisiertes Fahren sicher in den kommenden Jahren auf die Straße bringen?
Matawa: Zusammengefasst haben wir nun erstmals eine Genehmigung zusammen mit einer Ausnahmegenehmigung erarbeitet. Das haben wir jetzt einmal geschafft. Die Zulassung ist aber auf unseren Use Case von A nach B und für die Parkposition und das Laden C erteilt. Für eine regelgerechte Homologation reicht das bei Weitem nicht aus.
Eine wichtige Erkenntnis für uns ist sicher, dass sich hier sehr viel über die funktionale Sicherheit regeln ließ. Es gibt sehr viele Regularien, die sagen: Es geht nicht. Ich kann aber viel über die funktionale Sicherheit lösen und darüber trotzdem die Sicherheit gewährleisten. Das ist eine wichtige Erkenntnis auch in der Zusammenarbeit mit den Behörden. Das ist aber nur ein erster Schritt. Der nächste Schritt ist sicher, den Operator wegzulassen. Ein weiterer wäre dann der Betrieb auf freiem Terrain.
Koller: Wir haben jetzt einen festen Fahrplan für die Zulassung weiterer Fahrzeuge. Und unsere Erkenntnisse sind nun auch im Umlauf bei den Behörden – allen voran das Bayerische Staatsministerium des Innern. Die Anforderungen an die Sicherheit stehen für uns dabei immer an oberster Stelle. Für uns gilt nicht – auch nicht international – die Projekte so schnell wie möglich auf die Straße zu bringen.
Welche weiteren Anfragen gibt es?
Koller: Herstelleranfragen, Betreiberanfragen, beispielsweise Flughäfen, auch internationale Anfragen aus Japan, Singapur oder Korea. Momentan führen wir viele Gespräche. Fünf Projekte sind konkret in Planung.
Wie geht’s in Bad Birnbach weiter?
Matawa: Wir starten jetzt in die Phase 2. Das heißt wir gehen mit einem neuen Fahrzeug, dem Typ 2, auf eine erweiterte Strecke, die nun das Zentrum mit dem Bahnhof verbindet, also zusätzlich einen enormen Mehrwert schafft. Für uns heißt das ein komplett neues Sicherheitskonzept zu erstellen, weil die drei Parameter Technik, Strecke und Use Case vollkommen neu sind. Eine große Herausforderung wird beispielsweise ein sehr viel schnellerer Umgebungsverkehr mit bis zu 60 Stundenkilometern sein, aktuell sind wir ja nur auf verkehrsberuhigtem Terrain unterwegs.
Koller: Die neue Strecke geht auch über einen Landwirtschaftsweg. Deswegen müssen wir von vornherein die Landwirte, die dort mit ihren Maschinen unterwegs sind, ins Boot holen und uns mit den möglichen Gefahren im Vorfeld genau auseinandersetzen.
Matawa: Da werden wir sicher viele Gespräche führen. Die Bevölkerung zu informieren und in Gesprächen mit Anwohnern Informationen zu sammeln, auch das gehört zu unserer Arbeit, wenn wir ein Sicherheitskonzept für eine Sonderzulassung erstellen.
Herr Koller und Herr Matawa, vielen Dank für das Gespräch. (Marc Müller/verberei)
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Interviewpartner
Benjamin Koller
Amtlich anerkannter Sachverständiger mit Teilbefugnissen und Prüfingenieur für den Kraftfahrzeugverkehr
PMO Automatisiertes Fahren und Fahrerassistenzsysteme, TÜV SÜD Auto Service GmbH, Garching
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Interviewpartner
Dipl.-Ing. (FH) Robert Matawa
Leiter Fachbereich Testing autonomer Fahrfunktionen, TÜV SÜD Auto Service GmbH