Seit Oktober 2017 ist im bayerischen Bad Birnbach der autonom fahrende Kleinbus EasyMile EZ10 unterwegs. Der TÜV SÜD hat die technischen Komponenten überprüft und jeden Zentimeter der Fahrtstrecke genau unter die Lupe genommen. TÜV SÜD-Projektleiter Robert Matawa und der Sachverständige Benjamin Koller geben einen Einblick.
Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal 01/2018 erschienen.
Vorwort
Fünf Sachverständige, drei Experten für Funktionale Sicherheit und ein fünfköpfiges TÜV SÜD-Testteam mit Spezialisten unter anderem für Themen wie Elektromagnetische Verträglichkeit oder Fahrdynamik haben die Grundlagen für die Zulassung eines automatisiert fahrenden Busses erarbeitet und damit komplett neues Terrain betreten. Die Ingenieure haben bei ihrer Arbeit wichtige Erkenntnisse für die zukünftige Zulassung solcher Fahrzeuge gewonnen und mit detaillierten Gutachten erste Richtlinien erarbeitet, wie zukünftig automatisiertes Fahren ganz grundsätzlich auf die Straße gebracht werden kann.
Herr Koller und Herr Matawa, der Bus ist jetzt seit zehn Wochen auf der Straße. Sind Sie schon einmal im Regelbetrieb damit gefahren?
Matawa: Ja, mit der ganzen Familie. Und wir mussten eine Stunde warten, weil der Andrang so groß war.
Koller: Ein Riesenerfolg, die Leute wollen ausprobieren, wie diese Technologie funktioniert. Automatisiertes Fahren zum Anfassen – sozusagen. Wir freuen uns, dass der Bus so gut angenommen wird.
Das liegt sicher auch daran, dass sich die Fahrgäste dank Ihrer Arbeit absolut sicher sein können. Was war die Aufgabe des TÜV SÜD in diesem Projekt?
Koller: TÜV SÜD war für die Gutachten zur Ausnahmegenehmigung und die Einzelbetriebserlaubnis zuständig – als einzige unabhängige Sachverständigenorganisation übrigens. Denn im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern waren nur wir bereit, die Strukturen zu schaffen und uns mit neuen Prüfmethoden und -mitteln hier einzubringen.
Was waren die größten Herausforderungen?
Matawa: Die größte Herausforderung war, dass wir quasi in vielen Bereichen bei null anfangen mussten. Wie bei einer Südpol-Expedition haben wir die Flagge in die Hand genommen und uns auf den Weg gemacht – das Ziel der Zulassung im Visier, aber das Ergebnis offen. Bis auf unsere Erfahrungen hatten wir keinerlei andere Grundlagen, schließlich wurde ein solches Fahrzeug noch nie für die Straße zugelassen. Strecke, Geschwindigkeit, noch nicht einmal beim Bus selbst konnten wir von vornherein sagen, dass alle Vorgaben erfüllt sind, weil der Hersteller kein traditioneller Autobauer ist, und wir es auch hier mit einem Prototypen zu tun hatten.
Fest stand aber, nach welchen Vorgaben ein solches Fahrzeug zu begutachten war, richtig?
Matawa: Sicher. Zur Anwendung kommen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und hier insbesondere die Gefährdungsentkräftung des § 30. Für die tatsächliche Zulassung dann die § 21 und 70 der Straßenverkehrszulassungsordnung für die Einzelbetriebserlaubnis beziehungsweise die Ausnahmegenehmigung. Dazu – wie bei einer Pyramide – eine Vielzahl von Einzelgutachten, beispielsweise für die Bremse, die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV), Fahrdynamik oder die Längs- und Querführung bei der die ISO 26262 zur funktionalen Sicherheit anzuwenden war. Eine Norm übrigens, deren neue Fassung die Fachleute von TÜV SÜD maßgeblich mitgestaltet haben.
Wie sind Sie genau vorgegangen?
Koller: Zu Beginn steht die Machbarkeitsstudie. Aufgrund der gesetzlichen Anforderungen war schnell klar, dass das Fahrzeug nur innerhalb eines definierten Rahmens – Strecke, Anwendungsfall und Fahrzeugspezifikationen – betrieben werden kann, wie beispielsweise auf einer genau festgelegten GPS-geführten Strecke. Außerdem musste die Höchstgeschwindigkeit in unserem Sicherheitskonzept von vornherein auf 15 Stundenkilometer begrenzt werden. Auch stellte sich schnell heraus, dass die Fahrstrecke dreieinhalb Meter breit sein muss. Zudem gibt das Wiener Übereinkommen von 1968 über den Straßenverkehr immer noch vor, dass ein „Fahrzeugführer“ mit an Bord sein muss. In unserem Fall ist das der verantwortliche Sicherheitsoperator, der jederzeit einschreiten kann, wenn auf der Fahrt irgendetwas Unvorhergesehenes geschieht.
Trotzdem ist der Bus automatisiert unterwegs.
Matawa: Genau. Und um hier die Sicherheit zu gewährleisten, mussten wir detaillierte Gefährdungs- und Risikoanalysen durchführen, für die Technik, bezüglich der Strecke und der jeweiligen Anwendung – also dem kompletten Use Case.
Wie muss man sich das vorstellen?
Koller: Fangen wir mit der Technik an. Wie gesagt, handelt es sich beim EZ10 um einen Prototypen; der Hersteller EasyMile kommt nicht aus dem Automotive-Bereich. Wir hatten es also nicht mit einem umgebauten Setra S 431 oder MAN LION‘S CITY zu tun, dessen Straßenzulassung wir zugrunde legen konnten. Wir mussten das Fahrzeug selbst und alle Komponenten ins Visier nehmen und für den Betrieb vom Hersteller auch Umbauten verlangen – klassische Sachverständigenarbeit übrigens.