Bei der Projektierung von elektrischen Antriebssystemen für Nutzfahrzeuge liegen besondere Herausforderungen in der Vielseitigkeit der Einsatzbedingungen. Der folgende Fachbeitrag unter Mitwirkung von Fahrzeugtechnikexperte Prof. Dr.-Ing. Ulrich Schrade (Hochschule Ulm) zeigt auf, worauf es dabei ankommt.
Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal Ausgabe 05/18 erschienen.
Häufig sollen auf Basis einer konstruierten aber noch nicht in Serie gefertigten Elektromaschine und dem zugehörigem Umrichter Aussagen zu den erreichbaren Fahrleistungen und zum Verbrauch elektrischer Energie gemacht werden. Mit dieser Zielsetzung wurde eine Simulationsumgebung entwickelt, die eine Streckenfahrtberechnung im Zeitbereich enthält und darin integriert in diskreten Zeitschritten die auftretenden Motorströme und mit den Wirkungsgraden von Motor und Umrichter die Verluste und die Temperaturen berechnet. Schwerpunkt dieses Aufsatzes ist die analytische Berechnung der kritischen Wicklungstemperatur der Elektromaschine. Das Simulationstool kommt mit wenigen Hauptdaten aus und ist dadurch auch geeignet, während des Fahrbetriebs die Temperaturen laufend mitzurechnen. Es liefert als Ergebnis neben den Daten für Verlustleistungen auch die Aussage, ob Elektromaschine und Wechselrichter für die geforderte Aufgabe ausreichend dimensioniert sind.
1. Herausforderungen bei der Antriebsprojektierung
Wenn Nutzfahrzeuge mit elektrischen Antrieben ausgerüstet werden, müssen häufig besondere Anforderungen erfüllt werden, die gegenüber PKW stark abweichen können und insgesamt vielfältiger sind: Hinsichtlich der Fahrzeugmasse ergibt sich bei Nutzfahrzeugen eine sehr große Bandbreite. Hinzu können erhebliche Masseunterschiede zwischen leerem und beladenem Zustand, das Mitführen von Anhängern und der Betrieb von Anbaugeräten kommen. Die zu befahrenden Strecken können entweder wenig bekannt sein, sodass Annahmen getroffen werden müssen, oder aber wie bei Linienbussen oder Fahrzeugen im Werkverkehr relativ genau definiert sein.
Eine besondere Herausforderung bei der Projektierung von Nutzfahrzeug-Antrieben ist die richtige Dimensionierung von Wechselrichter und Motor. Kosten-, Gewichts- und Bauraumvorteile sprechen für die Wahl kleinerer Aggregate. Dabei soll die kurzzeitige Überlastbarkeit gegenüber der dauerhaft möglichen Leistung gezielt genutzt werden. Jedoch müssen die Anforderungen an Betriebssicherheit, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer des Antriebs auf jeden Fall erfüllt werden.
2. Die Simulationsumgebung
2.1 Ziele und Anwendungsbereiche
Bei der Aradex AG wurde eine Simulationsumgebung geschaffen, mit der die Projektierung elektrischer Antriebe in Nutzfahrzeugen schneller und sicherer wird.
Unter Berücksichtigung der Daten des Fahrzeugs, des Streckenprofils und der sonstigen Einsatzbedingungen kann das elektrische und thermische Verhalten des Antriebsstranges (siehe Bild 1) simuliert werden. Die Simulation dient mehreren Zielen:
- Berechnung des Wirkungsgrades von Motor und Wechselrichter im Fahrbetrieb
- Ermittlung des Energieverbrauchs und damit der Reichweite
- Bestimmung der im Antrieb (Motor, Wechselrichter) auftretenden Temperaturen
- Ermittlung der Fahrleistungen bei gegebenem Streckenprofil
Bild 1: Antriebsstrang eines elektrischen Nutzfahrzeuges: Achsgetriebe, E-Maschine, Wechselrichter, Batterie © ARADEX AG
2.2 Eingabedaten für Fahrzeug, Strecke, Umgebungsbedingungen
Die aus dem PKW-Bereich bekannten Fahrzyklen sind im Wesentlichen durch Wertepaare von Geschwindigkeit und Zeit definiert und damit für Nutzfahrzeuge mit ihren vielfältigen Einsatzgebieten meist nicht ausreichend. Hier ist es erforderlich, das Fahren auf realen Strecken zu simulieren, die beispielsweise über ihre Geodaten, das heißt eine hinreichende Zahl von Punkten mit deren geografischer Länge, Breite und Höhe über Normal Null, und den jeweils zugeordneten Soll- oder Maximalgeschwindigkeitswerten, definiert sind. Die tatsächliche Fahrgeschwindigkeit kann erst in der Simulationsrechnung ermittelt werden, wobei verschiedene Daten berücksichtigt werden können: Neigungen der Strecke, Wind mit Geschwindigkeit und Vorzeichen, Kenngrößen der Fahrbahnbeschaffenheit, Zusatzkräfte (z. B. Räumschild) oder Leistungen von Nebenaggregaten.
2.3 Streckenfahrtsimulation im Zeitbereich
Ein Fahrermodell mit Look-Ahead-Funktion wird verwendet, um Bremsvorgänge so rechtzeitig beginnen zu lassen, dass die Geschwindigkeitsvorgaben aus der Streckendatei eingehalten werden. In diesem Fahrermodell kann auch die Agilität der Fahrweise, das heißt der Beschleunigungs- und Verzögerungswert, begrenzt werden.
Aus der Soll-Beschleunigung wird im Antriebsstrangmodell, welches Getriebe, Elektromaschine und Wechselrichter umfasst, die erforderliche Stromstärke berechnet, die vom Wechselrichter an den Motor zu liefern ist. Diese Berechnung folgt der Vorgehensweise des ARADEX-Wechselrichters, welcher zu jedem Betriebspunkt des Motors den optimalen Strom in Stärke und Winkel berechnet und regelt, sodass die Gesamtstromstärken und damit die Verluste minimal sind. Eventuelle Beschränkungen der Stromstärke auf Grund hoher Temperatur in Motor oder Wechselrichter sowie definierbare Stromgrenzen des Akkus werden vom Simulationstool dynamisch berücksichtigt.
Aus der angesteuerten Stromstärke in Verbindung mit der anliegenden Drehzahl wird das Motordrehmoment ermittelt. Daraus wird im Fahrzeugmodell die Ist-Beschleunigung berechnet. Diese wird über die Zeit integriert, sodass als Ergebnis die neue Geschwindigkeit errechnet wird. Die Wiederholfrequenz der Berechnung kann an die Simulationsaufgabe angepasst werden.