So meistern Absolventen den Einstieg ins Berufsleben

Spätestens nach dem fünften „mindestens drei Jahre Berufserfahrung“ und dem achten „mehrjährige Beratungserfahrung mit Fokus auf“ stellt sich bei Absolventen Frustration und Missmut ein. Sie stehen gerade an der Grenze zwischen Uni und Berufsleben, haben bereits Praktika geleistet – und doch scheinen sie den Ansprüchen der Unternehmen nicht zu genügen. Doch dadurch entmutigen lassen sollten sich Berufseinsteiger auf keinen Fall.

Sehr geehrte Frau Freund,

ich bin 26 Jahre alt und werde nach dem kommenden Sommersemester mein Studium des Verkehrsingenieurwesens beendet haben. Natürlich bin ich jetzt schon auf der Suche nach entsprechenden zukünftigen Arbeitgebern und lese diverse Stellenausschreibungen. Allerdings wird dort immer erwartet, bereits Berufserfahrung mitzubringen. Mir scheint es, als gäbe es nirgends Stellenangebote für Absolventen. Zwar habe ich während des Studiums zwei Praktika (in Summe fünf Monate) absolviert, aber eine wirkliche Berufserfahrung kann ich deswegen noch lange nicht vorweisen. Macht es Sinn, sich auf solche Stellen überhaupt zu bewerben? Wie soll ich mit diesem Mangel an Erfahrung umgehen? Ich bedanke mich bei Ihnen im Voraus.

Sehr geehrter Leser,

mit dieser Frage bin ich regelmäßig in meinen Coaching-Gesprächen und bei Recruiting-Events konfrontiert. Oft spürt man bei den Bewerbern bereits nach kurzer Zeit der Jobsuche erste Anzeichen von Frustration und Selbstzweifel. Das ist natürlich Gift für ein souveränes und authentisches Auftreten; deshalb möchte ich die wesentlichen Kriterien, auf die Sie als Berufsein- steiger im Suchprozess achten sollten, hier einmal systematisch darstellen.

Wir kennen das alle: Jobangebote enthalten in den meisten Fällen den Wunsch nach Berufserfahrung. Achten Sie hier auf die genaue Formulierung und fokussieren Sie sich auf die „Kann-Option“. Ein Beispiel: „Mehrjährige Berufserfahrung ist für diese Aufgabe zwingend erforderlich“ – hier macht es in Ihrer Situation eher keinen Sinn, Energie auf eine Bewerbung zu verwenden. „Mehrjährige Berufserfahrung wünschenswert“ – hier besteht durchaus die Chance, in die engere Wahl zu kommen – mit entsprechend aussagekräftigen Unterlagen.

Praktika sind mittlerweile ja fester Bestandteil der allermeisten Studiengänge und stellen tatsächlich so etwas wie eine erste Berufserfahrung oder, besser ausgedrückt, Praxisberührung dar. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Sie diese Phasen immer gut detailliert und klar erläutern. Wo und in welcher Rolle waren Sie als Praktikant tätig? Was genau waren die Inhalte? Ebenso interessant kann eine Werkstudententätigkeit sein und muss daher einen festen Platz im Lebenslauf haben.

Auslandssemester und Auslandspraktika: Das ist ein ganz zentraler Erfolgsfaktor für den Berufseinstieg. Auslandsaufenthalte signalisieren den Unternehmen zum einen, dass der Bewerber über nützliche Sprachkenntnisse verfügt, denn ohne Englisch geht ja fast nichts mehr. Zum anderen zeugt dieser Schritt von einer gewissen Selbstständigkeit, Offenheit und Flexibilität – Soft-Skills, die ein wichtiges Einstellungskriterium bilden und daher nicht zu vernachlässigen sind.

Keinen Sinn macht es hingegen, wahllos Praktika zu absolvieren, nur um möglichst viel nachweisen zu können. Gehen Sie hier fokussiert vor und wählen Sie möglichst fachnahe Tätigkeiten. Relevant sind auch Projekte an der Universität, in welchen man schon erste Erfahrungen in Projektarbeit oder gar -leitung sammeln konnte. Ebenso zählen ehrenamtliche Engagements dazu – dort lernt man oft so wichtige Fähigkeiten wie Organisieren und Koordinieren einzusetzen.

Haben Sie zur Finanzierung Ihres Studiums Nebenjobs ausgeübt? Auch dies kann als Indiz Ihrer Eigenständigkeit und Zielorientierung gewertet werden und nicht selten eine wertvolle Praxiserfahrung darstellen.

Know-how ist erlernbar, Persönlichkeit nicht

Ich stelle immer wieder fest: Bei sehr vielen Unternehmen wiegen die „weichen“ Kriterien – Ihre Persönlichkeit, Ihr Auftreten, Ihre soziale und emotionale Kompetenz – mehr als die fachlichen Grundlagen beim Berufseinstieg. Der Grund liegt auf der Hand: Sie werden sehr rasch in – häufig interkulturelle – Teams integriert, arbeiten vielleicht in einer Matrixstruktur mit vielen unterschiedlichen Schnittstellen und übernehmen nach kurzer Zeit schon gewisse (Teil)-Projektleitungsaufgaben. Kriterien wie Teamfähigkeit, Strukturiertheit und Organisiertheit, Konfliktfähigkeit, Kooperation und Überzeugungskraft sind in solchen Situationen überlebenswichtig und können vom Unternehmen nicht ohne eine entsprechend vorhandene Basis vermittelt werden – fachliches Know-how dagegen schon.

Kein Angriff auf Ihre Person

Und noch ein Rat: Fassen Sie den Wunsch der Unternehmen nach Berufserfahrung nicht als „Vorwurf“ auf, sondern als legitimes Ansinnen für eine optimale Stellenbesetzung. Entkräften Sie das Argument mit selbstbewusstem Auftreten. Vergessen Sie nicht: Sie haben ein anspruchsvolles Studium absolviert – und dies mit guten bis sehr gutem Erfolg. Darauf können Sie stolz sein! Stellen Sie klar und deutlich dar, welche Fähigkeiten Sie bereits im Studium erworben haben. Präsentieren Sie sich und Ihre Skills authentisch und durchaus offensiv. Stellen Sie einen persönlichen Bezug zu der Stelle her. Signalisieren Sie: „Ich traue mir das zu!“

Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn es nicht immer gleich mit einer unbefristeten Festanstellung klappt. Industrie und Wirtschaft nutzen mittlerweile intensiv die Vorteile von befristeten Verträgen und Arbeitnehmerüberlassung. Aber hier bitte nicht gleich die Nase rümpfen – gerade für Absolventen kann es spannend und interessant sein, über solche projektbezogene Tä- tigkeiten verschiedene Unternehmen kennenzulernen und dort Erfahrung zu sammeln.

Eine Frage der Flexibilität

Wie flexibel sind Sie? Häufig beschränken sich die jungen Bewerber auf einen Radius rund um ihren aktuellen Wohnort oder sie nehmen nur die ganz großen Player in der jeweiligen Branche ins Visier. Meine Erfahrungswerte zeigen hier ganz klar: Viele „hidden champions“, spannende und überaus zukunftsorientierte Unternehmen sind in ländlicher Umgebung auf der grünen Wiese anzutreffen! Ich weiß, das ist eine schwere Entscheidung, denn man arbeitet ja nicht nur– man will ja auch seinen Freundeskreis nicht verlieren und am Abend und Wochenende Spaß haben. Aber oft ist es gar nicht so schwierig, hierfür einen gut funktionierenden Kompromiss zu finden, zum Beispiel mit einer Wohnung auf halbem Weg.

Das Netzwerk kontaktieren

Erzählen Sie möglichst vielen Freunden und Bekannten von Ihrer Jobsuche. Nutzen Sie Jobmessen an Ihrer Uni und Recruiting-Events in Ihrer Nähe, ebenso wie Fachveranstaltungen und Symposien. Verlassen Sie sich nicht nur auf Stellenanzeigen, die Sie entdecken, nutzen Sie auch das Internet (XING etc.) und Ihre privaten Netzwerke für Ihre Suche – machen Sie sich „sichtbar“!

Viel Erfolg Ihnen – das wird klappen!

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