Das Diesel-Urteil: Was die Entscheidung bedeutet

Ein Urteil mit Sprengkraft: Das Bundesverwaltunggericht hat Ende Februar 2018 klargestellt, dass Dieselfahrverbote grundsätzlich zulässig sind. Christian Alexander Mayer von der internationalen Wirtschaftskanzlei Kanzlei Noerr LLP ordnet das Urteil ein und zeigt auf, was Kommunen für die Luftreinhaltung tun können.

Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal 02/2018 erschienen.

Mit Urteilen vom 27.02.2018 hat das Bundesverwaltungsgericht die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein Westfalen (Az.: 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (Az.: 7 C 30.17) gegen die Urteile der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart überwiegend zurückgewiesen. Auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sind Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge grundsätzlich zulässig, wobei bestimmte gerichtliche Maßgaben zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind. Der Beitrag ordnet diese Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ein und stellt außerdem erste Handlungsmöglichkeiten der Kommu­nen dar, wie durch eine Förderung der Elektromobilität eine Verbesserung der Luftqualität herbeigeführt werden kann. Er geht auf einen Vortrag des Autors auf der 5. Fachkonferenz Elektromobilität am 27.02.2018 in Leipzig zurück.

Die Rechtslage

Nach deutschem Immissionsschutzrecht muss die je­weils zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufstellen, wenn innerhalb eines Gebiets die durch Rechtsverordnung festgelegten Immissionsgrenzwer­te (einschließlich festgelegter Toleranzmargen) über­schritten werden. Diese Vorgaben stellen die nationale Umsetzung einer europäischen Richtlinie zur Luftrein­haltung (Richtlinie 2008/50/EG) dar. In den letzten Jahren betrifft diese Regulierung insbesondere den Immissionsgrenzwert für NO2-Emissionen, der gem. § 48 a) Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 39. BImSchV für das gemittelte Kalenderjahr 40 µg/m³ be­trägt. Dieser Jahres-Immissionsgrenzwert ist seit dem 01.01.2010 in Deutschland einzuhalten, was jedoch vie­len Kommunen nicht gelingt.

Liegt eine andauernde Überschreitung der einzu­haltenden Grenzwerte vor, sind die Luftreinhaltepläne um geeignete Maßnahmen zu ergänzen, die den Zeit­raum der Nichteinhaltung von Grenzwerten so kurz wie möglich halten. Im Interesse eines effektiven Gesund­heitsschutzes muss die Schadstoffbelastung der Luft so schnell wie möglich auf ein noch als zumutbar eracht­bares Maß zurückgeführt werden. Es gibt keine gesetz­liche Bestimmung, wie kurz dieser Zeitraum zu halten ist. Ihn zu bestimmen, hängt im Wesentlichen von den örtlichen Umständen, etwa den konkreten Emittenten der Schadstoffe sowie den hierzu erforderlichen Maß­nahmen ab. Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung ist ein Luftreinhalteplan aber jedenfalls nur dann effek­tiv, wenn er geeignete Handlungsoptionen zur Redu­zierung der Schadstoffbelastung aufzeigt, deren Wirk­samkeit bewertet und so Grundlage dafür ist, dass eine differenzierte Entscheidung zu den Maßnahmen mit der absehbaren Folge getroffen werden kann, dass die Grenzwerte fristgemäß eingehalten werden können.

Die im September 2015 als „Diesel-Problematik“ bekannt gewordenen Zusammenhänge haben die zu­ständigen Stellen der Kommunen zu einer aktuellen Bestandsaufnahme und der Prüfung einschneidender Maßnahmen verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass die einzel­nen Maßnahmen zur Luftreinhaltung entsprechend des jeweiligen Verursacheranteils gegen die jeweiligen Emittenten zu richten sind. Tragen bestimmte Emitten­ten, wie beispielsweise Dieselfahrzeuge, in besonderer Weise zum Überschreiten der Immissionswerte bei, so müssen die Maßnahmen des Luftreinhalteplanes diese Emittenten verursachergerecht adressieren.

Bei Maßnahmen gegen Dieselfahrzeuge ist die zen­trale Frage, in wie weit konkrete Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge eine rechtlich zulässige, besonders effektive Maßnahme sind. Dabei kann die Straßenver­kehrsbehörde nach deutschem Immissionsschutzrecht den Kraftfahrzeugverkehr „nach Maßgabe der straßen­verkehrsrechtlichen Vorschriften“ beschränken oder verbieten, soweit ein Luftreinhalteplan dies vorsieht. Im Kern ist mithin die Frage zu prüfen, ob nach straßen­verkehrsrechtlichen Vorschriften ein solches Verkehrs­verbot für Dieselfahrzeuge angeordnet werden kann. Die beiden erstinstanzlichen Gerichte, das VG Düssel­dorf (Az.: 3 K 7695/15) und das VG Stuttgart (Az.: 13 K 5412/15), haben dies jeweils bejaht. Das VG Düsseldorf hat darauf abgestellt, dass es dem Verkehrsministerium Nordrhein Westfalen freisteht, die Straßenverkehrsord­nung (StVO) um weitere Zusatzzeichen zur Umsetzung von Verkehrsverboten zu ergänzen. Das VG Stuttgart ist sogar davon ausgegangen, dass Verkehrsbeschränkun­gen bereits heute mit dem Instrumentarium der StVO durchgesetzt werden können.

Bild 1 Verbrenner Stau

Bild 1: Laut Bundesverwaltungsgericht sind Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge grundsätzlich zulässig. (Quelle: elcovalana/Fotolia.com)

Die Urteile des BVerwG

Ausweislich der Pressemitteilung des Bundesverwaltungs­gerichts zu den beiden Urteilen vom 27.02.2018 – die schriftlichen Gründe werden erst nach Drucklegung dieses Beitrags, kurz vor Ostern, veröffentlicht – hält das Bun­desverwaltungsgericht Zonen wie streckenbezogene Ver­kehrsverbote für Dieselfahrzeuge nach Bundesrecht für nicht zulässig. Für den Erlass von Verkehrsverboten gilt die spezialgesetzliche „Plakettenregelung“ (rote, gelbe und grüne Plakette), die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpft und die – so das Bundesverwal­tungsgericht – den Erlass von Verkehrsverboten abschlie­ßend regelt. Das Gericht kommt aber gleichwohl zu einer grundsätzlichen rechtlichen Zulässigkeit von Verkehrsver­boten für Dieselfahrzeuge und leitet dies aus dem Euro­päischen Recht ab. Die schnellstmögliche Einhaltung der NO2-Grenzwerte ist eine unionsrechtliche Verpflichtung, die aus den erwähnten europäischen Richtlinien folgt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Ge­richtshofs muss nationales Recht unangewendet bleiben, wenn dies für die volle Wirksamkeit von Unionsrecht er­forderlich ist. Deshalb kommt das Bundesverwaltungsge­richt zu dem Ergebnis, dass die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit sie der Verpflichtung zur NO2-Grenzwert­einhaltung entgegenstehen, unangewendet bleiben müs­sen, wenn sich ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge als einzige geeignete Maßnahme erweist, um den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten. Damit gelangt also auch das Bundes­verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass ungeachtet nationaler Bestimmungen Verkehrsverbote für Dieselfahr­zeuge – als kurzfristige Ultima Ratio – zulässig sind.

Allerdings müssen die zuständigen Behörden nach den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ihre Luftreinhaltepläne und die dort verankerten Maß­nahmen daraufhin prüfen, dass der auch im Euro­päischen Recht verankerte Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit gewahrt bleibt. Aus diesem Grund dürfen Euro-5-Dieselfahrzeuge nach Ansicht des Bundesverwal­tungsgerichts nicht vor dem 01.09.2019 (vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit einem Verkehrs­verbot belegt werden. Ferner müssen die Luftreinhal­tepläne hinreichende Ausnahmen für Handwerker, be­stimmte Anwohnergruppen etc. beinhalten. Im Rahmen des Verkündungstermins hat der Vorsitzende Richter des Senats, Herr Prof. Dr. Andreas Korbmacher, jedoch in diesem Zusammenhang sogleich auch klargestellt, dass es keine finanzielle Ausgleichspflicht bei der Betroffen­heit von Verkehrsverboten gibt. Wörtlich wurde erklärt, dass „gewisse Wertverluste hinzunehmen sind“.

Kommunale Handlungsmöglichkeiten

Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.02.2018 werden weitreichende Auswirkungen ha­ben. Viele betroffene Kommunen müssen ihre Luft­reinhaltepläne überarbeiten und – mindestens – um gleich geeignete, ebenso kurzfristige Maßnahmen wie ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge ergänzen. Anderenfalls, dies ist aus den Urteilen des Bundesver­waltungsgerichts zu lesen, müssen Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge als Ultima Ratio ergriffen werden. Bereits viele Luftreinhaltepläne enthalten unterschied­liche Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität in einer Kommune. Da Elektrofahrzeuge keine lokalen Emissionen, insbesondere keine CO2- und NO2-Emis­sionen, verursachen, würde eine Umstellung vieler Fahrzeuge auf Elektroantrieb einen signifikanten Bei­trag zur Luftreinhaltung leisten.

Dabei stehen den Kommunen unterschiedliche Handlungsinstrumente zur Verfügung. Sie können von den, durch das Elek­tromobilitätsgesetz geschaffenen Möglichkeiten zur Privilegierung von Elektrofahrzeugen Gebrauch ma­chen. Namentlich also Sonderparkplätze für Elektro­fahrzeuge ausweisen, Elektrofahrzeuge von Park­gebühren befreien, Busspuren für Elektrofahrzeuge freigeben sowie Ausnahmen von Zu- und Durchfahrts­beschränkungen für Elektrofahrzeuge gewähren. Wei­tere probate kommunale Handlungsinstrumente sind insbesondere kommunale Förderprogramme, wie sie etwa in der Landeshauptstadt München seit mehre­ren Jahren erfolgreich angeboten werden.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zu keiner Doppelförde­rung kommt. Die Förderprogramme müssen mithin Fördergegenstände adressieren, die nicht andernorts (Bundes- und/oder Landesförderung) bereits gefördert werden.Häufig strengen Kommunen außerdem soge­nannte „Beschaffungsinitiativen“ für ihre kommuna­len Fuhrparks an. Diese Umstellung der kommunalen Flotten auf Elektrofahrzeuge wird inzwischen auch breit von der Bundesregierung gefördert. Gleiches gilt für die Umstellung des ÖPNV auf Elektromobilität, wo­bei hier ein veritables Hindernis die im Grunde nicht verfügbaren elektrischen Busse sind. Insoweit bleibt zu hoffen, dass die europäischen Hersteller zeitnah ein breites Angebot in großer Stückzahl bereitstellen.

Zuletzt soll hier noch dafür geworben werden, dass Kommunen bei der Förderung von Elektromobilität zur Luftreinhaltung von einem, ihnen ureigenen Hand­lungsinstrument Gebrauch machen: der kommunalen Planungshoheit. Immer mehr Kommunen verknüpfen Quartiersentwicklungen mit verbindlichen Mobilitäts­konzepten, die darauf abzielen, teure – oft ungenutz­te – Stellplätze durch alternative Mobilitätsangebote zu substituieren. Immobilienentwickler können verpflich­tet werden, einen Teil der eingesparten Herstellungs­kosten für Stellplätze in alternative Mobilitätsange­bote zu investieren. Dadurch werden diese Angebote (noch) attraktiver und leisten ihren Beitrag dazu, dass die Bewohner eines Quartiers auf eigene Fahrzeuge verzichten.

Modellprojekte hierfür sind beispielswei­se die LINCOLN-Siedlung in Darmstadt und das neue Benjamin-Franklin-Village in Mannheim. Alle erforder­lichen Handlungsinstrumente zur Umsetzung solcher Quartiersentwicklungen und Mobilitätskonzepte hat die Kommune selbst in der Hand: Bauleitplanung, Stell­platzsatzung, städtebauliche Verträge sowie zivilrechtli­che Verpflichtungen in Grundstückskaufverträgen. Wie so oft braucht es aber selbstredend einen politischen Willen, diese Instrumente auch wirksam einzusetzen. Dazu leisten hoffentlich die nun sehr konkret drohen­den Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge ihren Beitrag.

Bild 2 Elektroauto Stellplatz

Bild 2: Kommunen können mit zahlreichen Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität beitragen, beispielsweise mit Sonderparkplätzen für Elektrofahrzeuge. (Quelle: mmphoto/Fotolia.com)

Fazit

Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.02.2018 sind wegweisend. Die Freie und Hanse­stadt Hamburg hat bereits wenige Stunden nach Verkündung der Urteile angekündigt, konkrete Ver­kehrsverbote für Dieselfahrzeuge zu erlassen. Andere Kommunen dürften gezwungen sein, diesem Beispiel zu folgen. Damit rücken die Urteile des Bundesverwal­tungsgerichts aber nicht nur konkrete Verkehrsverbote in den Fokus, sondern erhöhen obendrein den Hand­lungsdruck der Kommune auch bei anderen Maßnah­men zur Luftreinhaltung. Eine wesentliche Maßnahme zur Luftreinhaltung ist die Umstellung auf Elektrofahr­zeuge, denn nur sie gewähren auch künftig – einge­denk drohender Verkehrsverbote – individuelle Mo­bilität.

Hoffentlich lassen sich viele Menschen durch attraktive ÖPNV-Angebote überzeugen, sicher werden aber auch in den nächsten Jahren noch viele Menschen auf individuelle Mobilität zurückgreifen oder gar an­gewiesen sein. Diese Umstellung kann man als Kom­mune aktiv begleiten. Hoffentlich werden sie dabei durch weitere Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag der neuen großen Koalition (etwa die geplante Ver­günstigung bei E-Dienstwagen) sowie – endlich – den deutschen Automobilherstellern unterstützt, die das Ihrige beitragen können.

  • Noerr RA Mayer

    Autor

    Christian Alexander Mayer

    Associated Partner am Münchener Stand­ort der internationalen Wirtschaftskanz­lei Kanzlei Noerr LLP. . Ein besonderer Branchenschwerpunkt bildet der Bereich alternativer Mobilität. Christian Mayer publiziert und referiert regelmäßig zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten. Er be­gleitet diverse Forschungsinitiativen und ist seit vielen Jahren Mitglied der Themenfeldtreffen Infrastruktur, Stadt & Verkehr und Ordnungsrecht der vom Bundes­ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderten Modellregionen Elektro­mobilität.

  • Dieselurteil Kommunen Cover

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