Baden-Württemberg: Weitere Forschungsgelder für Elektromobilität und Fahrzeug-Digitalisierung

Mit einem siebenstelligen Betrag unterstützt das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg neue Entwicklungsprojekte im Bereich Elektromobilität und Fahrzeug-Digitalisierung. Die Landesbehörde verfolgt einen "technologieoffenen Ansatz".

2,3 Millionen Euro fließen in die Projekte

Die sechs geförderten Vorhaben befassen sich unter anderem mit den Themenfeldern Hochleistungsbrennstoffzellen, Elektrische Antriebstechnologien, Modulare autonome Fahrzeugkonzepte und Thermische Hochleistungsspeicher zur Klimatisierung von Elektrofahrzeugen. Rund 2,3 Millionen Euro stellt das baden-württembergische Wirtschaftsministerium aus den Mitteln der Landesinitiative Elektromobilität dafür bereit.

„Unser innovations- und arbeitsmarktpolitisches Ziel ist es, Baden-Württembergs führende Rolle im Bereich Mobilität – die Systemkompetenz unserer Hersteller, Zulieferer und Dienstleister rund um das Fahrzeug – auch in Zukunft über die ganze Wertschöpfungskette hinweg zu erhalten“, erklärte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) am Freitag, 24. August, in Stuttgart.

Die geförderten Projekte im Einzelnen:

  • „Machbarkeitsstudie Disruptive Fahrzeugkonzepte – Modular Electrified Capsule and Platform“ (ModECAP); Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Fahrzeugkonzepte
  • „Kombinierte Antriebs-Bremseinheit für schwere elektrische Nutzfahrzeuge“ (KABseN); Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Fahrzeugkonzepte
  • „Thermische Hochleistungsspeicher in batterieelektrischen Bussen“ (THS-BUS); Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Fahrzeugkonzepte
  • „Wickelkopfstruktur mittels aluminiumhaltiger Verbundkeramiken für Elektrische Radialflussmaschinen“ (WAVER); Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Fahrzeugkonzepte
  • „Reduzierung des CO2 Ausstoßes durch aktive Strömungsbeeinflussung am Fahrzeugdiffusor“; Universität Stuttgart, Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen IVK
  •  „Direkte Deposition von Membran-Elektrodeneinheiten für Hochleistungswasserstoffbrennstoffzellen“ (DirectMEA); Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V.

Enge Verzahnung mit den Autoherstellern

Im Fokus der Förderung stehe auch, einen technologieoffenen Ansatz zu verfolgen und darauf zu achten, dass eine spätere Verwertung durch den Mittelstand im Land erfolgen könne, so Hoffmeister-Kraut. „Ziel ist eine enge Verzahnung mit den Strategien der großen Fahrzeughersteller und Systemzulieferer. Denn unser Mittelstand muss auch weiterhin ein wesentliches Element innerhalb der automobilen Wertschöpfungskette bleiben.“

Das Potenzial des Mittelstandes stärken

Bereits im Herbst 2017 hatte das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit der Landesagentur für Elektromobilität und Brennstoffzellentechnologie Baden-Württemberg (e-mobil BW) das 5-Millionen-Euro schwere Unterstützungspaket „Mittelstandsoffensive Mobilität“ gestartet: Damit sollen "Förderlücken" für mittelständische Unternehmen geschlossen werden, die sich im "Transformationsprozess der Automobilwirtschaft" befinden. Das Paket umfasst im einen neuen „Innovationsgutschein Hightech Mobilität“, ein „Technologietransferprogramm Innovative Mobilitätstechnologien“ sowie Projekte zur Intensivierung von Netzwerken, zur Förderung des Fachkräftenachwuchses und zur Unterstützung der Internationalisierung.

Interview mit Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: "Das Auto wird zum zweiten Mal erfunden"

Die Kraftfahrzeugbranche steckt im wohl größten Umwälzungsprozess ihrer jüngeren Geschichte. Neue Antriebsformen wie die Elektromobilität und die tiefgreifende Digitalisierung (Industrie 4.0) sind die Stichworte. RATIO KOMPAKT sprach mit der Wirtschaftsministerin des Landes, Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, MdL.

RATIO KOMPAKT: Frau Dr. Hoffmeister-Kraut, was denken Sie: Kann der wirtschaftliche Erfolg von heute auch in Zukunft erhalten werden?

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut: Das Herz der deutschen Automobilindustrie schlägt in Baden-Württemberg. Nahezu 30 Prozent aller Arbeitsplätze der deutschen Fahrzeugindustrie sind bei uns im Land zu Hause. Allerdings sind eine stolze Automobil-Geschichte und erfolgreiche Geschäfte in der Gegenwart noch lange keine Garantie für eine gute Zukunft. Die Automobilindustrie erlebt zurzeit wahrscheinlich den größten Wandel in ihrer Geschichte. Daher sind alle Akteure gefragt, alles dafür zu tun, dass Baden-Württemberg als Gewinner aus diesem Transformationsprozess hervorgeht.

Wo stecken die größten Risiken in diesem Transformationsprozess?

Unser Erfolg ist gleichzeitig auch das größte Risiko. Es wurden weltweit einmalige Kompetenzen aufgebaut und Investitionen in Technologien getätigt, die heute Garant für unseren Erfolg sind, in Zukunft aber vielleicht nicht mehr die entscheidenden Technologien und Kompetenzen in der Automobilwirtschaft darstellen. Wir müssen den Spagat zwischen Amortisation der getätigten Investitionen und der Innovationsführerschaft in den neuen Technologien meistern. Das richtige Timing ist hier aus meiner Sicht erfolgsentscheidend.

Was sind da die wesentlichen Herausforderungen?

Mit den Themen Vernetzung, autonomes Fahren und alternative Antriebe wird das Auto praktisch zum zweiten Mal erfunden. Was noch vor wenigen Jahren wie Science-Fiction geklungen hat, gilt inzwischen als realistisches Zukunftsszenario. Auch zeichnen sich völlig neue Geschäftsmodelle ab – etwa im Big-Data-Bereich. Daneben heißt die große Vision: emissionsfreies Fahren. Und vieles spricht dafür, dass die Elektromobilität dabei eine wichtige Rolle spielen wird – auch wenn es bis zum Durchbruch noch genügend Baustellen gibt: von der Reichweite über den Ladevorgang bis hin zur Ladeinfrastruktur. Auf dem Weg zur emissionsfreien Mobilität dürfen wir aber auch die Potenziale des Verbrennungsmotors nicht außer Acht lassen. Auch synthetische Kraftstoffe bieten große Potenziale, deshalb plädiere ich für Technologieoffenheit.

Wo sehen Sie die größten Chancen in dieser Entwicklung?

Baden-Württemberg ist dafür bekannt, mit die besten Fahrzeuge weltweit zu bauen. Diese Systemkompetenz und das ganzheitliche Denken sind wesentliche Stärken unseres Standortes. Wir müssen es also schaffen, diese Systemkompetenz auch in den neuen Technologien zu erhalten. Dann hat Baden-Württemberg mit der Konzentration aller notwendigen Kompetenzen und Kapazitäten auf engstem Raum die besten Voraussetzungen, auch zukünftig das Herz des Automobilbaus zu bleiben.

Prognosen gehen von 25 Prozent Marktanteil für Elektromobile in Deutschland im Jahr 2025 aus. Das wird die traditionellen Wertschöpfungsstrukturen in der Automobilindustrie drastisch verändern. Was bedeutet das für kleine und mittlere Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie konkret?

Dieser Technologie- und Strukturwandel wird die industrielle Wertschöpfungskette kräftig durcheinanderwirbeln. Und dieser Wandel wird durch die Digitalisierung noch verstärkt. Vor allem das breite Netzwerk der kleinen und mittleren Automobilzulieferer ist hier betroffen. Allein in Baden-Württemberg gibt es rund 1.000 solcher Fahrzeugzulieferer. Jeder Dritte davon muss nach einer aktuellen Studie mit erheblichen Auswirkungen rechnen.

Wie sollten sich da die kleinen und mittleren Automobilzulieferer positionieren?

Schon heute übernehmen die Zulieferer rund 30 Prozent der Produktentwicklung für ein neues Fahrzeugmodell. Darin liegt auch eine große Chance, in der Automobilindustrie vom Kellner zum Koch aufzusteigen, wie unlängst eine Zeitung schrieb. Denn beim Elektroauto sind die Zulieferer die Motorenbauer. Damit der Mittelstand die Chancen des Technologiewandels auch wirklich nutzen kann, müssen traditionelle Geschäftsmodelle reformiert, Technologiekompetenzen ausgebaut und Strategien angepasst werden.

Sie haben einen landesweiten Transformationsbeirat eingerichtet. Welche Aufgaben hat dieser?

Wir wollen die Bedeutung unserer Automobilindustrie und ihrer Zulieferer auch in Zeiten der Digitalisierung und zunehmender Elektromobilität erhalten. Im Rahmen des Strategiedialogs Automobilwirtschaft der Landesregierung verantwortet mein Ministerium die beiden Themensäulen „F&E, Produktion, Zulieferer“ und „Vertrieb, After-Sales“, die wir im Transformationsrat bearbeiten.

Was sind seine Ziele?

Wir wollen die Systemkompetenz und die Wertschöpfung zu Fahrzeug und Mobilität in Baden-Württemberg erhalten. Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir eine Strategie und gezielte Handlungsempfehlungen insbesondere für die Politik und Verwaltung, aber auch für Wirtschaft und Wissenschaft erarbeiten. Erste Themen des Rats werden daher die Veränderung von Wertschöpfungs- und Vertriebsketten und Beschäftigungspotenzialen sowie neue Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein.

Auf welche Unterstützung Ihres Ministeriums können kleine und mittlere Zulieferer zurückgreifen, um sich fit zu machen?

Der Mittelstand ist als Taktgeber des technologischen Fortschrittes ein wichtiger Garant für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Deshalb sehe ich mit Sorge, dass die Innovationstätigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland seit zwanzig Jahren rückläufig ist – entgegen der zunehmenden Innovationstätigkeit von Großunternehmen. Hier setzt unsere „Mittelstandsoffensive Mobilität“ an. Gemeinsam mit e-mobil BW bieten wir fünf Maßnahmenpakete für kleine und mittlere Unternehmen aus der Automobilindustrie an.

Welche Rolle hat das Landesnetzwerk automotive-bw in diesem Kontext?

Alleine sind diese vielen Herausforderungen für viele kleine und mittlere Zulieferer nicht mehr zu bewältigen. Zusammenarbeit, Kooperation und Vernetzung werden bei diesem Veränderungsprozess immer bedeutender, vielleicht sogar entscheidend. Genau hierzu trägt das Landesnetzwerk automotive-bw bei.

Quelle: RATIO KOMPAKT, RKW Baden-Württemberg

Die Automobilwirtschaft erlebe zurzeit wahrscheinlich den größten Wandel in ihrer Geschichte, sagte die CDU-Politikerin im vergangenen November zum Auftakt der Mittelstandsoffensive. Bis zu vier Fünftel aller in einem Automobil verbauten Teile stammten aus der Fertigung mittelständischer Unternehmen. Vor diesem Hintergrund habe der durch Digitalisierung und Elektrifizierung getriebene Transformationsprozess erhebliche Auswirkungen auf jeden dritten Zulieferer in der deutschen Automobilbranche. "Die Politik ist gefordert, die Unternehmen in diesem Prozess tatkräftig zu unterstützen", betonte Hoffmeister-Kraut. (aho)

 

Quelle: Land Baden-Württemberg