Daniel Quinger, LION Smart

Das Münchner Unternehmen LION Smart hat sich in der innerhalb der Batterietechnologie-Szene einen Namen gemacht. Daniel Quinger, Gründer und Geschäftsführer der LION-Gruppe, spricht im Interview über seine Batterieprojekte, fliegende Scheunentore und was die Erdölindustrie mit seinem Batteriepatent zu tun hat.

Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal 02/2018 erschienen.

Herr Quinger, Sie haben LION Smart noch während Ihres Studiums mit Ihren Kommi­litonen Michael Geppert und Tobias Mayer gegründet. Wie sahen die Anfänge aus?

Kennengelernt hat sich das Gründerteam vor etwas mehr als zehn Jahren bei einem Elektrofahrzeug-­Projekt der TU München, dem Vorgängerprojekt des heutigen Fahrzeugs Mute / Visio.M. Im Zuge des ­Projekts haben insgesamt dreißig Studenten und ­Doktoranden ein Elektroauto entwickelt und um­gesetzt. Wir drei Gründer haben zusammen an den ­Batterien für das Autoprojekt gearbeitet, bevor wir 2008 die Firma LION Smart gründeten.

Die Gründungsidee war damals, Testdienstleistun­gen anzubieten. Die Idee ist aus dem Problem heraus entstanden, dass große Batterien ein hohes Gefahren­potenzial bergen und wir die Batterie erst einmal tes­ten wollten, bevor wir sie einbauen und durch Fehler an der Batterie womöglich die Arbeit unserer Kommi­litonen in Flammen aufgegangen wäre. Bei dem Ver­such, hierfür eine geeignete Testeinrichtung zu finden, waren wir sehr erstaunt, festzustellen, dass es keine Möglichkeit gab, ein gesamtes Batteriesystem testen zu lassen. Aus dieser Erkenntnis heraus ist dann letzt­endlich LION Smart entstanden – ausgerechnet im Jahr der Wirtschaftskrise. Wir haben daher erst einmal auf einem Bauernhof angefangen und dort ein Testlabor eingerichtet. Glücklicherweise war der Landwirt als ehemali­ger Sprengmeister entspannt, denn bei dem ein oder ande­ren Versuch ist uns auch schon mal ein Scheunentor um die Ohren geflogen.

Bald haben Sie aber auch eigene kunden­spezifische Batterieprojekte entwickelt und Prot­otypen gebaut.

Es kamen schnell auch Kunden, die nicht nur Tests durchführen lassen, sondern auch Batterien in Auftrag geben wollten. So ist der Prototyping-Bereich schon früh parallel zur reinen Testdienstleistung entstanden. Im Prototyping-Bereich bauen wir für eine große Band­breite an Kunden aus verschiedenen Industriezwei­gen Batteriesysteme – inzwischen auch unser eigenes ­Batterie-Management-System (BMS).

Wir arbeiten von Anfang an mit LINEAR Technology (heute Analog Devices) zusammen, die im BMS-Bereich der größte Chip-Hersteller und Weltmarktführer sind. Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung, die wir bis heute von diesem großen Unternehmen erhalten. Auf der Hannover Messe 2016 waren wir auf dem Messe­stand von LINEAR Technology mit unserem BMS ver­treten. LINEAR stellte dort ein Projekt mit Dust-Chips vor, das man sich im Prinzip wie ein Wireless-LAN vor­stellen kann. Das Besondere an diesem sogenannten Mesh-Netzwerk ist jedoch, dass jeder Netzwerkteil­nehmer als Router fungieren und die Signale an andere ­Teilnehmer weiterleiten kann, bis das Datenpaket seine Zieladresse erreicht hat. Das System kommt eigentlich aus dem Industrial IoT-Bereich, in dem es darum geht, kabellose Sensoren in Fabriken, die sehr weitflächig ver­teilt sind, aufzubauen und robust zu betreiben.

Noch auf dem Messestand hatten wir mit den Kol­legen von LINEAR die Idee, das Prinzip auf Batterien zu übertragen, weil man sich damit einige Kabel und ­Stecker in der Batterie sparen kann, die ohnehin feh­leranfällig sind. Auch die Möglichkeit, intelligente Batterie­module darzustellen, hat uns fasziniert. Weil man nicht mehr via Kabel arbeitet, sondern über Funk mit dem Batteriemodul kommunizieren kann, lassen sich so interaktive Fertigungskonzepte realisieren, bei de­nen die Fertigungsmaschine kontaktlos Daten mit dem Produkt austauscht. Man kann beispielsweise auch eine Diagnose-Software auf die Batterie spielen und dann end-of-­line einen finalen Softwarestand aufspielen, um die ­Produktionsprozesse zu monitoren und eventuelle ­Fehler in der Produktion frühzeitig zu erkennen.

Schnell war klar, dass wir das in einem Auto um­setzen müssen. Wenn wir das als Modell nur auf dem Schreibtisch entwickelt hätten, hätten Kunden aus der Autoindustrie unser Konzept zurecht als „Jugend forscht“-Projekt abgetan. Also haben LINEAR Techno­logy und wir in Zusammenarbeit mit der Firma Kreisel Electric aus Österreich unser Batteriekonzept Wireless BMS 2016 aufgebaut. Das Gesamtprojekt mit der In­tegration in einen BMW i3 haben wir dann innerhalb von nur fünf Monaten realisiert und auf der Electro­nica 2016 präsentiert (siehe Bild 1). Natürlich war es spannend, ob wir das in der kurzen Zeit stemmen kön­nen; aber da wir sonst aus Geheimhaltungsgründen sehr ­selten unsere Arbeit der Öffentlichkeit präsentie­ren können, war das Team extrem motiviert und hat es letztendlich trotz der knappen Zeit geschafft.

1 LION Smart Electronica BMWi3

Bild 1: LION Smart stellte das Wireless BMS im Jahr 2016 auf der Electronica in einem BMW i3 vor. (Quelle: LION Smart GmbH)

Auf dem 3M-Fachforum „Faszination Elektro­mobilität“ im vergangenen Dezember haben Sie erste Details zum neuen LION Smart LIGHT Battery Konzept vorgestellt. Wie kann man sich die Entwicklung eines solchen Kon­zepts vorstellen?

Bei den Batterien, die wir bisher für das Prototyping eingesetzt hatten, gab es einige ungelöste technische Aspekte. Ziel unseres Unternehmens ist es aber unseren Kunden dabei zu helfen, mit ihren Produkten die ­Serienreife zu erlangen. So haben wir, als wir das Wireless BMS 2016 ent­wickelt hatten, parallel auch ein „Stealth-Projekt“ gestar­tet. Wir wollten Batterie-Architektur noch einmal ­völlig neu denken. Bisher sind Batterien immer sehr ähnlich aufgebaut. Viele optimieren nur das ­bestehende Sys­tem, weil es schon seit mehr als 20 Jahren verwendet wird. Wir aber wollten ganz neue Wege gehen und versuchen all die Aspekte anzugehen, die uns als Inge­nieure seit jeher an der Architektur heutiger Batterie­systeme gestört haben. Dafür haben wir uns ganz klare Ziele gesetzt und wirklich sehr harte Anforderungen definiert. Das hört sich deutlich leichter an, als es tat­sächlich ist, da man einfach betriebsblind wird, Dinge als gegeben hinnimmt und nicht mehr hinterfragt.

Welche Zielsetzungen waren das?

Erstens wollten wir nicht, dass die Dichtungen sich direkt an den Zellen befinden und haben daher ent­schieden, dass wir das Modul komplett fluten. Das hat den Vorteil, dass wir so nicht mehr wie in der ­Wireless-i3-Batterie knapp 10.000 Dichtstellen, son­dern tatsächlich nur noch maximal 110-120 Dichtun­gen haben. 100 Dichtungen kann ich gut absichern in der Produktion – bei 10.000 Dichtungen pro Batterie­system ist die Prüfung mit zusätzlichem Ausschuss ein Albtraum für jeden Ingenieur.

Zweitens wollten wir wirklich alle Kabel ­eliminieren. Das ist uns gelungen, indem wir die Kühlflüssigkeit als Datenträgermedium benutzt und auf eine soge­nannte Einzelzell-BMS-Architektur gesetzt haben. Das heißt also, wir schicken optische und akustische Sig­nale durch die Kühlflüssigkeit und haben eine Elek­tronik, die Spannung und Temperatur pro Zelle einzeln überwacht. Heute hat man immer eine Gruppe von Zel­len, normalerweise zwölf Stück, die als Elektronikein­heit von einer Platine überwacht werden und wo man entsprechend die Kabel hinführt. Um diesen ganzen Kabelweg loszuwerden, sind wir dahingehend einen Kompromiss eingegangen, dass wir pro Zelle eine eigene Elektronik in Kauf nehmen, die aber dafür sehr einfach gehalten ist. Das heißt diese Platine wird dort, wo die Zellen miteinander verbunden werden, gesteckt – fast wie man es von einer Steckdose kennt. Die Zellen werden also in ihren Rahmen gesteckt, die Elektronik auch und dann wird beides aneinanderge­fügt. Das ist dann auch von der Fertigung her ein sehr einfacher Prozess.

4 LIOn Smart 3M Fachforum

Bild 4:Daniel Quinger präsentiert das LION Smart Light Battery Konzept auf dem 3M-Fachforum „Faszination eMobilität“ im ­Dezember 2017. (Quelle: LION Smart GmbH)


Wie sind Sie darauf gekommen, die Flüssig­keit als Datenträger zu nutzen?

So ganz genau rekonstruieren kann ich das gar nicht mehr. Vielleicht liegt es daran, dass wir bei LION schon ziemliche Nerds sind und uns Technik allge­mein sehr interessiert. Wir haben uns irgendwann gefragt: Wie machen das eigentlich die Leute aus der Erdölindustrie? Die nutzen auch eine Flüssigkeit – das Bohrwasser. Vom Bohrkopf aus werden akustische Signale über die Bohrflüssigkeit an die Oberfläche gesendet. Wir waren letztlich sehr überrascht, dass im Batteriebereich noch niemand darauf gekommen ist. Also haben wir uns das paten­tieren lassen. Manchmal hat man einfach das Glück, dass relativ einfach anmutende Ideen noch nicht von anderen patentiert wurden – wobei unser An­satz schon radikal anders ist als die vorherrschende ­Batterie-Systemarchitektur heute.

Sie haben noch ein Patent angemeldet: die gleichmäßige Temperierung in Batterie­systemen. Welchen Vorteil haben ­diese ­minimalen Temperaturunterschiede im Batteriesystem?

Auch die gleichmäßige Temperierung war eine frühe Zielsetzung von uns. Als Batterieingenieur verfolgt man das Ziel, dass die in Serie verschalteten Zellen möglichst die gleiche Temperatur aufweisen. Dies hat im Wesent­lichen zwei Gründe. Zum einen ist die Alterung von ­Lithium-Ionen-Batterien ein stark temperaturabhängiger Prozess, welcher möglichst homogen erfolgen soll, da die Kapazität und Leistungsabgabe eines Batteriesystems im­mer von der schwächsten (also am meisten gealterten) Zelle begrenzt wird. Ziel ist also eine gleichmäßige und natürlich möglichst geringe Alterung der Zellen.

Zum anderen wird die Ladeleistung von der wärmsten Zelle begrenzt. Wenn man nun große Temperaturunter­schiede innerhalb der Batterie hat, führt das dazu, dass eine oder mehrere Zellen früher die maximal zulässige Temperatur überschreiten als andere, was zur Folge hat, dass man die Ladeleistung früher begrenzen muss. Bei sehr gleichmäßigen Temperaturen tritt dieser Effekt nicht auf und man kann länger mit hohen Leistungen laden. Erreicht haben wir diese homogene Temperatur­verteilung, indem wir allen in Serie verschalteten Zel­len einen gemeinsamen Vor- und Nachlauf gegeben haben und der Kühlkreislauf nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit gestaltet ist. Vereinfacht gesagt, werden alle seriell verschalteten Zellen mit der glei­chen Menge Kühlmedium bei gleicher Temperatur umströmt (siehe Bild 2).

2 Kühlkreislauf Batterie

Bild 2: Die Temperaturunterschiede in der Batterie werden über einen Kühlkreislauf nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit ausgeglichen. (Quelle: LION Smart GmbH)

Dadurch erreicht man vor allem, dass der Batterie­ladevorgang wesentlich beschleunigt wird. Denn beim Laden der Batterie entsteht Wärme, die ich wieder raus­bekommen muss. Wenn mir das auf anderem Weg nicht mehr gelingt, muss ich langsamer laden. Bei gleichblei­bender Temperatur hingegen kann ich viel länger eine hohe Ladeleistung erzielen und kann damit auch viel schneller die Ladestation wieder verlassen.

Die Novec-Flüssigkeit von 3M, die wir nutzen, ist für das Thermomanagement verantwortlich und bietet obendrein eine zusätzliche Sicherheit, weil sie bereits ab 60 °C zu kochen beginnt. Dieser Phasenübergang entzieht dem Batteriesystem zusätzlich eine große Wärmemenge, weil ­Lithium-Ionen-Batterien nicht über 60 °C erwärmt werden dürfen. Ansonsten kann die Batterie Schaden ­nehmen oder sogar gefährlich werden. Die Novec-­Flüssigkeit ist dadurch ein idealer Temperaturpuffer.

Sie erwarten mit Ihrem Batterie-Konzept, ein­gebaut in einen BMW i3, eine Kapazität von 94 kWh und eine Reichweite von 700 km rea­lisieren zu können. Das ist etwa doppelt so viel wie die Batterie des BMW i3 von ­Samsung und auch mehr als ein Tesla Model S leistet. Wie erreichen Sie diese Spitzenwerte?

Indem wir die Bereiche, die vorher mit Kabeln gefüllt wa­ren und die ungenutzten Bauräume mit möglichst vielen Zellen ausgefüllt haben. Im Grunde heißt das, dass wir den gleichen Bauraum, in dem wir damals für den Wireless BMW i3 noch 4.600 Zellen untergebracht haben, jetzt mit 7.488 Zellen ausfüllen. Das ist möglich durch eine Anord­nung in der soge­nannten hexagonal dichtesten Packung, das heißt die Zellen sind angeordnet wie ein Bienenwaben­muster. So erreichen wir, dass wir keinen Bauraum ver­schenken, sondern diesen gegebenen Raum maximal aus­nutzen und damit die Energiedichte erhöhen.

Bei höherer Energiedichte ist auch das ­Sicherheitsrisiko größer. Wie verhindern Sie ­Gefahren und Ausfälle?

Wir sichern jede Zelle mit zwei Sicherungen ab. Das heißt bei den insgesamt 7.488 Zellen haben wir knapp 15.000 kleine Sicherungen. Um das zu erreichen, ver­wenden wir ausgelasertes Blech und bringen durch den Laser Dünnstellen in das Blech ein, sodass bei einem Kurzschluss in der Batterie diese Zelle aus­gesichert wird. Tesla nutzt ein ähnliches System mit Einzelzell-Absicherung. Der große Vorteil an dieser ­Matrix-Architektur ist, dass man so ein fehlertoleran­tes System erreicht.

Eine Standard-Batterie, wie sie heute üblicherweise in Elektrofahrzeugen eingesetzt wird, hat sehr große Zellen, die hintereinander in Serie geschaltet sind. Wenn auch nur eine einzige Zelle ausfällt, dann hört die ge­samte Batterie auf, zu funktionieren. In dem geplanten Konzeptfahrzeug werden nun 78 Zellen parallel ge­schaltet. Wenn also eine Zelle ausfällt, dann verliert man nur 1/78 der Batteriekapazität sowie der Spitzenleistung und hat keinen Totalausfall.

Wir haben uns von Anfang an für die kleinen Zel­len entschieden, weil beispielsweise für die Luftfahrt das, was in der Fahrzeugindustrie eingesetzt wird, gar nicht in Frage kommt. Denn wenn die Batteriesysteme in einem Flugzeug mit einem Totalausfall reagieren, ist ein „Rechts-Ranfahren“ wie mit einem Pkw schlicht­weg nicht möglich. Also brauchen wir in der Luftfahrt fail-operational – im Fehlerfall weiter betriebsbereite – Batterien. So haben wir uns von vornherein am Level der Luftfahrt orientiert.

Sie haben sich neben kleinen Zellen auch ­bewusst für Rundzellen entschieden. In ­Europa und China werden hauptsächlich prismatische Zellen verwendet. ­Sogenannte Pouch-­Zellen sind in Handys verbreitet. ­Welchen Vorteil haben Rundzellen im Ver­gleich zu den ­anderen Zellansätzen?

Man verschenkt bei prismatischen Zellen durch die vie­len mechanischen Verspannungen – die „Kiste in der Kiste in der Kiste“, wie ich immer sage – Raum und hat auch viel totes Gewicht aufgrund all dessen, was eigentlich nur zum Halten der Struktur not­wendig ist. Die Rund­zelle hat den Vorteil, dass sie eigenstabil ist. Das heißt man braucht nur noch Haltestrukturen, die sie in Position halten, aber es muss nichts mehr mechanisch zusammengepresst werden (siehe Bild 3). Das alles führt dazu, dass man mit prisma­tischen Zellen offenkundig nicht die Energiedichte dar­stellen kann, wie das mit Rundzellen möglich ist, die den Raum optimal ausnutzen.

Dennoch haben alle Zellansätze ihre Berechtigung und bringen eigene Vorteile und Nachteile mit sich. Ei­nige deutsche Hersteller haben eben die strategische Entscheidung getroffen, prismatische Zellen zu verwen­den. Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden, da die Automobilindustrie zwar ein wichtiger Kunde ist, aber wir eben auch für andere Branchen tätig sind, in welchen teilweise Anforderungen existieren, die mit Pouch- oder prismatischen Zellen nicht darstellbar sind.

3 Rundzellen Batteriepack

Bild 3: Mit Rundzellen kann der Raum des Batteriepacks optimal ausgenutzt werden. (Quelle: LION Smart GmbH)


Als Batterietechnologieunternehmen arbei­ten Sie eng mit Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammen. Wie könnten die Speichertechnologien der Zukunft aussehen?

Das Schöne an der Batterietechnologie ist, dass es keine großen Sprünge in der Entwicklung gibt, genauso wenig wie Wunder – auch wenn es manchmal in den Medien einen anderen Eindruck macht. Batterieforschung ist sehr zeitintensiv. Das, was wir tatsächlich heute in den Händen halten, gibt es seit mindestens zwei Jahrzehnten schon funktionierend im Labor. Das wurde immer weiter ver­bessert, bis man einen Reifegrad erreicht hat, ab dem man die Technologie in Serie bringt. Und auch dann kann es nochmal ein paar Jahre dauern. Das liegt zum einen da­ran, dass die Lithium-Ionen-Batterien ein Zusammenspiel von verschiedenen Teilsystemen sind: Anode, Kathode, Elektrolyt, Separator, Ableiter und so weiter. Dazu kom­men noch viele Kreuzabhängigkeiten der einzelnen Teil­systeme. Zudem sind Lithium-Ionen-Batterien ein bunter Strauß an Material-Paarungen, die man intelligent mit­einander kombiniert, um bestimmte Eigenschaften zu er­zielen. Ich glaube, dass Lithium-Ionen-Batterien auch noch in 20 Jahren eingesetzt werden – natürlich in viel besserer Qualität, mit mehr Leistung und höherer Lebensdauer.

Dass wir auf eine ganz andere Technologie wech­seln, das bezweifle ich, weil dazu die Alternativtech­nologien wie Lithium-Luft, Lithium-Schwefel und Fest­körper auch im Labor noch zu viele Probleme machen, als dass sie in absehbarer Zeit in Serie gehen könnten. Natürlich wird an diesen Ansätzen weiter geforscht – ich würde aber nicht darauf warten.

Vor welchen Herausforderungen stehen Batterie-Management-Systeme der Zukunft?

Die Autoindustrie verlangt natürlich nach mög­lichst günstigen Lösungen, gleichzeitig soll die „­Time-to-Market“ möglichst kurz sein. Deswegen müssen wir uns immer wieder fragen: Wie können wir unseren Kunden helfen, noch schneller auf den Markt zu kommen? Also müssen wir die Entwicklungszyklen reduzieren. Das bedeutet wir müssen weg von den Entwicklungszyklen der Autoindustrie – hin zu Ent­wicklungszyklen der Consumer-Electronics-Industrie und das bei Erhaltung der Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit. Am Anfang hat man Elektrofahrzeuge so geplant und entwickelt wie Fahrzeuge mit Verbren­nungsmotor. Meiner Meinung nach lässt sich das bei den kontinuierlichen Verbesserungen der Zellen und den mitunter dramatischen Kostenreduktionen nicht lange durchhalten. Inzwischen zeichnet sich aber ab, dass sich in der Richtung etwas tut. Es steht also bei den Elektrofahrzeugen die schnelle Entwicklung der Technologie im Vordergrund – so wie man es auch von der Consumer-Elektronik kennt.

Können Sie sich vorstellen, auch selbst in die Produktion einzusteigen?

Bisher arbeiten wir als Dienstleister mit einem eigenen System, weil viele der Kunden heute nicht nur einen reinen Prototypen und eine Machbarkeitsstudie, son­dern schon den Weg in Richtung Serie einschlagen und selbst ein Produkt herausbringen wollen. Dafür brauchen sie einen technischen Dienstleister, der ihnen neben dem reinen Engineering auch die Technologie liefern kann. Unser Ziel ist es, unsere Kunden dazu zu befähigen, die Batteriesysteme selbst zu bauen. Das heißt wir bauen eine kleine Musterfertigung auf, in einer Größenordnung von ein paar hundert Batterien pro Jahr. Wer zehntausend oder mehr herstellen will, der wird die Batterien dann auch selbst bauen wollen. So können wir unseren Charakter als Technologie- und Engineering-Unternehmen beibehalten und uns auf unsere Stärken konzentrieren.

Wir glauben, dass sich das Modell, das sich aktuell im Zusammenbau von Motoren zeigt, künftig auch für den Zusammenbau von Batterien bei den OEMs be­währen wird. Möglicherweise geht der Trend sogar so weit, dass die OEMs auch die Batteriezellen selbst bauen. Es wird dann darauf hinauslaufen, dass die OEMs Lizenzen kaufen und die Produk­tion selbst übernehmen. Unsere Aufgabe wird es sein, hier als Gatekeeper ein Auge darauf zu haben, dass zum Beispiel ein Lizenznehmer, der nicht sauber arbeitet, seine Lizenz verliert. So stellen wir sicher, dass die Reputation des Systems durch die Nutzung nicht zugelassener Komponenten keinen Schaden nimmt.

Wie Sie auch schon angesprochen haben, sind Sie nicht nur Dienstleister für die Auto­mobilindustrie, sondern auch für andere In­dustriezweige wie die Luftfahrt. Können Sie schon mehr zu den Forschungen in diesem Bereich verraten?

Mit Airbus haben wir hier in München ein Forschungs­projekt, das vom Land Bayern mit der Ludwig-Bölkow-­Stiftung gefördert wird. Dabei geht es um Batteriesystem­technik, das heißt der Fokus liegt nicht auf der Chemie, sondern tatsächlich auf dem System und dem Zusammen­spiel mit der Zelle als solches. Interessanterweise führen die strengen Anforderungen der Luftfahrt dazu, dass man sich eingehender mit Rundzellen beschäftigt.

Die Frage ist insbesondere, welche Systeme entwi­ckelt werden sollen. Da gibt es Ideen, dass man eben nicht die üblichen viereckigen Batterien baut, sondern Formen von Tragflächen wählt oder den ganzen Rumpf als ringförmige Batte­rie anlegt. Mit unserer Batterie können wir fast jede geometrische Form oder jeden geo­metrischen Grundkör­per darstellen. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass ein elektrisches Flugzeug zu bis zu 70 Prozent aus Batterie bestehen wird – im Prinzip wird das E-Flug­zeug also eine riesige fliegende Batterie und die Batte­rie ist Teil der Struktur. Daran arbeiten wir gemeinsam mit Airbus und betreiben im weiteren Sinne Grund­lagenforschung.

In der Luftfahrt werden wir im Bereich der Forschung sehr interessante Dinge sehen. Wenn wir aber 2030 zum ersten Mal in einem elektrischen oder hybrid-elektrischen Flugzeug von München nach Frankfurt fliegen können, dann haben wir schon viel geschafft. Vorher sollte man nicht damit rechnen, weil die Luftfahrt noch einmal län­gere Entwicklungszyklen hat.

Vor sechs Jahren sind Sie an die Börse ­gegangen und seitdem auch international ­vertreten. Welche Wege wollen Sie in der ­Zukunft gehen?

Die LION E-Mobility AG ist als Holding in der Schweiz aufgestellt und hat die Aufgabe, die Unternehmen in unserer Gruppe zu refinanzieren. Das heißt dort ist im Augenblick nur die Verwaltung, man wird aber ­sicher auch mal ein Team vor Ort aufbauen. Die LION ­E-Mobility ist seit etwa 6,5 Jahren an der Börse gelistet. LION E-Mobility North America haben wir im vergan­genen Jahr als Tochter gegründet, um unsere Expan­sion im Ausland voranzutreiben. Hier versprechen wir uns insbesondere die Chance, qualifizierte Leute zu fin­den, was im deutschen und auch europäischen Markt schwierig ist. Es mangelt in der Elektromobilität meist an Talent – an Ingenieuren. Außerdem geht interna­tional beim Thema Elektromobilität auch entschieden mehr voran als in Deutschland und Europa. Wir denken für nächstes Jahr über eine weitere Tochter zum Bei­spiel in China nach, um uns diese Geschäftsfelder auch auf dem asiatischen Markt sukzessive zu erschließen.

Resultiert die Mangelware Ingenieur daraus, dass es noch keine oder zu wenig adäquate Studiengänge gibt oder dass sich hier gerade einfach so viele Themenbereiche öffnen und der Ingenieur als solches sich erst auf das neue Thema einlassen muss?

Es gibt inzwischen tatsächlich Studiengänge für Elektro­mobilität oder Energiespeicher – beispielsweise in ­München, Münster, an der RWTH Aachen oder sehr gute Wissenschaftler an der Forschungseinrichtung ZSW in Ulm. Wir Gründer mussten uns das Maschinenbau­studium damals noch entsprechend zusammenstellen.

Es mangelt aber in erster Linie an Ingenieuren mit pas­sendem theoretischen Hintergrund und entsprechender Praxiserfahrung. Wir sind bei den allermeisten In­genieuren darauf ange­wiesen, diese erst einmal ausführlich anzulernen – zwischen einem halben und einem Jahr dauert es, bis die Leute soweit auf Flug­höhe sind, dass sie mit den Systemen vertraut sind und eigenständig an den Batterien arbeiten können.

Hervorragend für die Praxiserfahrung ist die „Formula Student“, ein Konstruktionswettbewerb unter der Schirm­herrschaft des VDI, von dem es inzwischen auch eine elek­trische Disziplin gibt. Im Zuge des Wettbewerbs treffen sich Studenten aus aller Welt für fünf Tage zum Kräfte­messen am Hockenheimring und müssen vorab in einem halben Jahr ein komplettes Auto bauen – mit der komplet­ten Elektronik und allem Drum und Dran. Da bekommen die Studenten dann auch „hands-on-Erfahrung“. Wenn wir solche Bewerber bekommen, sind uns diese definitiv am liebsten, weil unsere Arbeitsweise sehr „hands-on“ ist.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Quinger. (ks/sih)

  • Porträtfoto Daniel Quinger Klein

    Interviewpartner

    Dipl.-Ing. Daniel Quinger

    Gründer und Geschäftsführer, Leiter Batterie-Management-Systeme LION Smart GmbH