Elektromobilität und neue Nutzungskonzepte in Kirchenkreisen

Zusammen mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hat das Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt ein Konzept für den Einsatz von Elektrofahrzeugen im ländlichen Ver­kündigungsdienst entwickelt. Die Besonderheit: Vom Auto profitiert die gesamte Gemeinde. Dr. Mathias Wilde und Christian Vollrath skizzieren das spannende Projekt.

1. Einleitung

Vormittags zum Jubiläum gratulieren, mittags das Konfirmandencamp im Büro vorbereiten, Jugendfreizeit am Nachmittag und abends noch eine Gemeindekirchenratssitzung – jeden Tag sind Pfarrerinnen und Seelsorger von Dorf zu Dorf unterwegs, ohne eigenes Auto unmöglich. Unter dem Titel „NeMo_Land – Neue Mobilitätssysteme und Elektromobilität in Thüringer Kirchenkreisen“ hat das Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ein Konzept entwickelt, welches eine geteilte Nutzung des Elektro­fahrzeugs als Gemeinschaftsauto beinhaltet [1]. Im Projekt wurde geprüft, ob das Leistungs­profil eines Elektrofahrzeuges den Anfor­derungen der Pfarrerinnen und Seelsorger im Verkündigungsdienst entspricht. Danach folgten Überlegungen zur gemeinsamen Nutzung des Fahrzeuges als Gemeinschafts­auto im Ort. (Lesen Sie dazu auch das Interview mit Michael Lehmann, dem Initiator des Projektes).

2. Elektromobilität auf dem Land

Mit der Elektromobilität verbindet sich die Hoffnung, die vom Verkehr erzeugten CO2-Emissionen dauerhaft zu senken und damit den Klimaschutzzielen insgesamt nä­herzukommen. Klimaschutz, Mobilität und ländlicher Raum stehen in einem Spannungs­verhältnis. Zwar trifft die Förderung der Elek­tromobilität im ländlichen Raum zunächst auf die gleichen Ressentiments, wie sie in der Stadt vorhanden sind – auf Unsicherheit gegenüber Reichweite, Verfügbarkeit, Ladeinfrastruktur. Zugleich müssen sich die Bemühungen um mehr Elektrofahrzeuge mit einem vollkom­men anderen Stellenwert von Mobilität im Alltag der Menschen auseinandersetzen. Der Rang, den das Auto im Alltag der Menschen einnimmt, bestimmt die Beharrlichkeit gegen­über anderen Formen der Fortbewegung. Noch mehr als in der Stadt sind die Menschen im ländlichen Raum auf das Auto angewiesen, noch weniger können sie es ersetzen durch Fahrrad oder öffentlichen Nahverkehr.

Ähnliches gilt für das Personal der Kirche. Die Kirche sah sich in der Vergangenheit immer öfter gezwungen, ihre Pfarrstellen zusammen­zulegen und Pfarrbereiche neu aufzuteilen. Die Mobilitätsanforderungen, die sich aus Pfarrar­beit für mehrere Gemeinden ergeben, sind eine weitere Facette im Komplex der Problematik zur Mobilität in ländlichen Räumen.

Für den Kontext des ländlichen Raumes sind bis auf wenige Ausnahmen die Förderprogram­me der Elektromobilität zu ungenau und un­zulänglich – ungenau, weil sie die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit kaum erreichen und damit die Alltagstauglichkeit der Fahrzeu­ge auf dem Land nur dürftig vermitteln; un­zulänglich, weil die Anreize zum Umstieg auf Elektromobilität im internationalen Vergleich zurückfallen [2]. Dabei sind die Bedingungen in den Dörfern und Städten des ländlichen Rau­mes durch Flächenvorteile und lokale Energie­erzeugung prädestiniert für Elektromobilität.

3. Elektromobilität im Kirchendienst

Im Projekt „NeMo_Land“ dienten die Thürin­ger Kirchenkreise Altenburger Land, Rudol­stadt-Saalfeld sowie Eisleben-Sömmerda als Modellkommunen (siehe Bild 1 und Bild 2). An insgesamt sieben Standorten mit Pfarrstellen und Verwaltungseinrichtungen sowie für zwei diakonische Einrichtungen wurden die Tagesabläufe ausgewertet und Dienstreisen­otwendigkeiten erfasst. Daraus ergaben sich die Rahmenbedingungen für die Einsatzfä­higkeit von Elektrofahrzeugen im Dienst- und Privatgebrauch. Die Auswertung bildete die Grundlage für die Beantwortung der entschei­denden zwei Fragen des Vorhabens: Eignen sich Elektrofahrzeuge für den Kirchendienst auf dem Land; und wie gelingt eine geteilte Nutzung bestenfalls als Gemeinschaftsauto?

  • B1 Elektroauto Diakonie Horizonte

    Bild 1: Bereits im Einsatz – Elektrofahrzeug im Dienst des Diakonie­zentrums Horizonte in Altenburg, Landkreis Altenburger Land. (Foto: Christian Vollrath)

  • B2 Johanneskirche Stellplatz Elektrofahrzeug

    Bild 2: Demnächst mit Stellplatz für ein Elektrofahrzeug – Johanneskirche in Saalfeld, Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. (Foto: Christian Vollrath)

    3.1 Potenzial von Elektrofahrzeugen

    Der Tagesablauf von Pfarrerinnen und Seel­sorgern fällt höchst unterschiedlich aus: An manchen Tagen fahren sie zwei Orte an, an anderen haben sie vier Termine oder mehr. Zusammengenommen legen sie jedoch zu­meist eher kurze Strecken zurück. Dabei entspricht im Mittel die Fahrleistung am Tag etwa 22 Kilometer. Die ambulante Pfle­ge der Diakonie ist hingegen durch einen relativ festen Dienstablauf geprägt, hier werden mehrere Patienten und Pflegebe­dürftige nach einem Routenplan angefah­ren.

    Dennoch bleibt die Fahrleistung unter 30 Kilometer (siehe Tabelle 1). Somit sind bei Reichweiten von mehr als 100 Kilometern pro Ladung, keine Einschränkungen zu er­warten. Auch ohne zwischenzeitliche Ladung ge­nügt die Restreichweite der Fahrzeuge, damit nach Dienstgebrauch andere in der Gemeinde das Elektrofahrzeug für eigene Zwecke nutzen können. Sowohl im Verkün­digungsdienst als auch bei der ambulanten Pflege enthalten die Dienstabläufe zudem Pausen- oder längere Bürozeiten, sodass bei Bedarf das Fahrzeug zwischengeladen wer­den kann.

    T1 Fahrleistung pro Tag

    3.2 Carsharing

    Während die technischen Voraussetzungen gegeben sind, erfordert die gemeinschaft­liche Nutzung eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Carsharings. Heute verstehen sich Carsharing-Anbieter als Mobilitätsdienst­leister und verfolgen einen kommerziellen Zweck. Zudem konzentrieren sie ihre Dienst­leistung auf die Städte, in der sie ausreichend Nachfragepotenziale finden. Wenn hingegen Carsharing auf dem Land funktionieren soll, dann am ehesten als eine „Selbstfahrergenos­senschaft“ – wie sich das erste Projekt zum gemeinsamen Autogebrauch nannte [3]. Im Ansatz der Genossenschaft liegt die Stärke des Autoteilens auf dem Land: Dem geteilten Auto fällt eine gemeinschaftsstiftende Funktion zu und sollte stärker sozial orientiert ausgerichtet sein [4]. Wenn der Anteil auch wage sein mag, ein Gemeinschaftsauto kann zur Stabilisierung von Strukturen auf dem Land beitragen.

    Wie die Bevölkerung ein solches Angebot annimmt, darauf steht die Antwort noch aus. Die Nutzungstypen von Elektrofahrzeu­gen im Carsharing reichen von „ökologisch­motivierten“ über „komfortorientierten“ bis hin zu „technikbegeisterten“ Menschen [5]. Diese Vielfalt macht deutlich: Will man Men­schen für nachhaltige Mobilität gewinnen, ist die Bereitstellung eines Angebotes allein un­zureichend.

    4. Fazit

    Die Kirche führt Elektrofahrzeuge für ihre Be­schäftigten ein, sichert deren Bedarf und er­möglicht nachhaltige Mobilität im Dienst. Außerhalb der Dienstzeiten ist geplant, dass ein erweiterter Kreis die Fahrzeuge für eigene Zwecke nutzen kann. Die Öffnung zur geteilten Nutzung erfolgt dabei stufenweise, zunächst für die Angestellten zum Privatgebrauch und später für die Menschen im Ort.

    Im besten Fall können Familien auf ein zwei­tes Auto verzichten oder aber die gelegentliche Nutzung baut Ressentiments soweit ab, dass die nächste Fahrzeuganschaffung mit einem Elektromotor ausgestattet ist. Die Verbindung aus Dienstfahrzeug und einer kollektiven Nut­zungsform erlaubt die Gestaltung von nach­haltiger Mobilität auch unter den Bedingungen der ländlichen Räume und kommt gleichzeitig den Ansprüchen nach Flexibilität und Individu­alität in der Bevölkerung nach.

    5. Ausblick

    Aktuell befasst sich ein Nachfolgeprojekt mit der Umsetzung: An vier Standorten der Evan­gelischen Kirche in Mitteldeutschland wer­den eigene Elektrofahrzeuge eingeführt und schrittweise für einen erweiterten Kreis zur Ver­fügung gestellt. Das Nachfolgeprojekt evaluiert außerdem die Erfolgsaussichten für den Regel­betrieb in der geteilten Nutzung [6].

    Neben der Fahrzeugbeschaffung und der Ladeinfrastruktur befasst sich das Nachfolge­projekt mit der Bereitstellung regenerativer Energie für die Versorgung. Die Energie soll möglichst lokal erzeugt werden, weswegen geprüft wird, inwiefern sich die Standorte für Photovoltaikanlagen und Energiespeicher eigenen (siehe Bild 3). Die Herausforderung besteht dabei vor allem im Umgang mit dem Denkmalschutz, dem viele Kirchengebäude un­terliegen.

    B3 Photovoltaik Kirche Smmerda

    Bild 3: Photovoltaikanlage auf dem Dach einer Kirche – Beispiel Kannawurf, Landkreis Sömmerda. (Foto: Christian Vollrath)

    Quellen und Anmerkungen

    [1] Das Vorhaben wurde vom Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz gefördert.

    [2] Gather, Mathias; Vollrath, Christian; You, Zubin (2018): Die Quote als Antrieb für E-Fahrzeuge in China. In: Internationales Verkehrswesen (2/2018), S. 19-22.

    [3] Jeekel, Hans (2018): Cities and adoption of innovation in passenger mobility. In: van Geenhuizen, M.; Holbrook, J.; Taheri, M. [Hrsg.]: Cities and Sustainable Technology Transitions. Cheltenham, Northampton: Edward Elgar, S. 167-188.

    [4] Rotaris, Lucia; Danielis, Romeo (2017) The role for carsharing in medium to small-sized towns and in less-densely populated rural areas. Transportation Research Part A: Policy and Practice, online first, verfügbar unter: http:// dx.doi.org/10.1016/j.tra.2017.07.006.

    [5] Hille, Claudia (2017): Handlungsmotive für die Nutzung von Carsharing mit Elektrofahrzeugen: Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung. In: Wilde, M.; Scheiner, J.; Gather, M.; Neiberger, C. [Hrsg.]: Verkehr und Mobilität zwischen Alltagspraxis und Planungstheorie – ökologische und soziale Pers­pektiven. Wiesbaden: Springer VS, S. 65-76.

    [6] NeMo II – Implementierung des Modellprojektes „Neue Mobilitätssysteme und Elektromobilität in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland”, Infos unter: www.verkehr-und-raum.de.

    • Christian Vollrath

      Autor

      Christian Vollrath

      Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt

    • Dr. Mathias WIlde

      Autor

      Dr. Mathias Wilde

       Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt

       

    • Elektromobilitt Nutzungskonzepte Kirche Cover

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