Roborace: Die Künstliche Intelligenz übernimmt das Steuer

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Sollte sich das autonome Fahren immer mehr als Standard etablieren, brauchen wir auch international einen rechtlichen Rahmen da­für, wie sich das Fahrzeug in bestimmten Situationen verhalten soll. Wie bringt man einer Künstlichen Intelligenz bei, ethisch „korrekte“ Entscheidungen zu treffen?

Der erste Schritt ist, einen rechtlichen Rahmen für den Einsatz von automatisierten Fahrfunktionen zu schaffen, so wie das für den heutigen, manuellen Straßenverkehr seit Jahrzehnten der Fall ist. Die wichtigste notwendige Änderung ist vergleichsweise einfach zu benennen, nämlich, dass der Fahrer die Erlaubnis bekommen muss, nicht aufmerksam am Steuer zu sitzen und bei­spielsweise das Handy benutzen darf. Viel schwieriger wird das Thema, wenn es darum geht, Verantwortlich­keiten festzulegen. Das wirft unter anderem die Frage auf, wer für einen Unfall haftet, wenn der Fahrer die Fahraufgabe an das Fahrzeug übergeben hat und damit nicht für den Unfall verantwortlich ist.

Wenn es darum geht, dass Fahrzeuge „ethisch kor­rekte“ Entscheidungen treffen sollen, wird die Ange­legenheit deutlich komplizierter. Soll der Gesetzgeber ähnlich der Straßenverkehrsordnung bestimmte Ver­haltensweisen und Aktionen definieren und vorge­ben? Dabei stellt sich schon alleine die Frage, was genau „ethisch korrekt“ bedeutet. Ein vor allem aus technischer Sicht nicht fassbarer Begriff, der auch von verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. Für die Behandlung dieses wichtigen, aber schwierigen Themas wurde durch das Verkehrsministerium eine Ethikkommission unter der Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio berufen. Diese Kommission beschäftigte sich ausführlich mit dem Thema des au­tomatisierten Fahrens und erarbeitete Leitlinien für die Programmierung solcher Fahrsysteme, die 2017 in einem Abschlussbericht vorgelegt wurden.

Das schwierige Thema, dass unser Rennfahrzeug ethisch „korrekte“ Entscheidungen treffen können muss, können wir aktuell zum Glück vernachlässigen. In der abgeschlossenen Umgebung, in der wir uns derzeit bewegen, muss das Fahrzeug  Entscheidungen treffen,die mit dem Reglement der Rennserie konform sind. Das ist auch vollkommen ausreichend, da sich zu keiner Zeit Menschen in Gefahr befinden.

In der Serienentwicklung von selbstfahrenden Fahr­zeugen ist die Entwicklung noch weit davon entfernt, bei einem bevorstehenden Unfall eine „ethisch korrekte“ Entscheidung zu treffen. Im Falle einer unvermeidlichen Kollision wird zuerst versucht, mögliche Ausweichmanö­ver zu fahren. Ist das nicht mehr möglich, so wird das Fahrzeug unter Einhaltung der aktuellen Fahrspur ma­ximal verzögert, um die Kollisionsschwere so stark wie möglich zu verringern.

Bei der Diskussion über „ethisch korrekte“ Ent­scheidungen wird stets auf das Ziel verwiesen, mit dem automatisierten Fahren Unfälle in Zukunft kom­plett zu vermeiden, um solche Entscheidungen nicht treffen zu müssen. Außerdem ist es derzeit rein aus technischer Sicht nicht möglich, die genaue Anzahl an Personen in einer Menschengruppe zu erfassen. Glei­ches gilt für die Qualifizierung von Menschen anhand ihrer Merkmale, weshalb die häufig herangezogenen Dilemma-Situationen für „ethisch korrektes“ Handeln eher theoretischer Natur sind.

Welche nächsten Schritte haben Sie für Ihre Software geplant? Sehen Sie Vermarktungs­potenzial für die Industrie?

Wir konzentrieren uns seit dem Roborace-Event in Berlin wieder voll auf unsere Forschungsthemen am Lehrstuhl. Berlin war für uns erst der Anfang, um zu zeigen, dass wir eine leistungsfähige Software entwi­ckelt haben. Auf Basis derer können wir jetzt in die Funktionsentwicklung einsteigen, die dazu führen wird, dass das Fahrzeug schneller wird. Zum einen können wir die Sicherheiten, die aktuell noch berück­sichtigt werden, schrittweise verringern. Zum anderen wird das Fahrzeug immer „intelligenter“, was einen großen Leistungssprung bedeutet. Das heißt kon­kret, dass das Fahrzeug zunehmend präziser auf die Umweltbedingungen – hier stehen aktuell vor allem statische und dynamische Objekte im Fokus – einge­hen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen können wird. Das geschieht durch Entwicklung von neuen Funktio­nen und durch das Sammeln von Erfahrungswerten, auf die das Fahrzueg zurückgreifen kann.

Natürlich entsteht hier sehr viel Know-how, das für die Industrie inter­essant ist. Vor allem auch, weil wir die Gelegenheit haben, unsere Forschungsergebnisse im Einsatz unter Extrembedingungen zu überprüfen. Ohne Roborace wäre das für uns als Forschungseinrichtung schlicht unmöglich, wenn man bedenkt, was Entwicklung, Be­trieb und Logistik rund um die Rennfahrzeuge kosten würden. Dadurch, dass wir aber diese einzigartige Möglich­keit haben, können wir valide Forschungsergebnisse produzieren, die anschließend in die Serienentwicklung zurückgespielt werden können. Das Thema des automatisierten Fahrens ist natür­lich sehr viel weitreichender als die Szenarios, die wir in unserer Forschung berücksichtigen.

Allerdings leistet das sichere Steuern des Fahrzeugs in hochdy­namischen Situationen einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit der automatisierten Fahrfunktionen. Neben der Entwicklung von Algorithmen, die dazu in der Lage sind, spielt auch der Aspekt der Echtzeitfä­higkeit eine große Rolle. Wir können davon ausgehen, dass die Algorithmen im Straßenverkehr garantiert schnell genug sind, wenn wir sie für die Rennszena­rien echtzeitfähig implementieren können. Aus die­sen Gründen ist die Relevanz unserer Forschung trotz oder gerade wegen des reinen Renneinsatzes sehr hoch. Daher sehen wir für unsere entwickelten Algo­rithmen ein hohes Vermarktungspotenzial.

Werden Sie beim nächsten Roborace wieder an den Start gehen?

Definitiv. Wir stehen derzeit in engem Kontakt mit Roborace und planen die Saison 2019, an der wir wie­der teilnehmen werden. Geplant sind mehrere Events, die im Rahmen der FIA-Formel-E-Weltmeisterschaft stattfinden. An den Events sollen mehrere Teams teil­nehmen, die sowohl mit menschlichen Fahrern als auch mit ihrer Software gegeneinander antreten werden. Neben dem reinen Zeitfahren, wie beim diesjährigen Berlin-Event, sind weitere, neue Wettbewerbsformate in Planung.

Unser Team befindet sich aktuell in der Abstimmungs­phase über neue Funktionen und Verbesserungen unserer Software. Hauptentwicklungsziele sind dabei das Deketieren von und der Umgang mit dynamischen Objekten sowie eine deutliche Steigerung der Fahrzeug-Performance. Durch den Einstieg weiterer Teams steigt der kom­petitive Charakter der Events weiter an, was für mehr Spannung für die Zuschauer und vor allem für uns als Team sorgt. Wir freuen uns sehr über die neue Konkur­renz und den Wettbewerb.

Es bleibt auf jeden Fall spannend – sowohl für uns im Roborace als auch für die Entwicklung von selbstfahren­den Fahrzeugen im Allgemeinen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hermansdorfer. (aho)

  • Portrait Hermansdorfer Leonhard

    Interviewpartner

    Leonhard Hermansdorfer

    Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik, Technische Universität München

  • Knstliche Intelligenz Roborace TUM Cover

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