Autonom fahrende Fahrzeuge rücken immer mehr in den Fokus, wenn es um das Thema „Mobilität von morgen“ geht. Sind selbstfahrende Lieferwagen und Autos die Lösung unserer Mobilitätsherausforderungen?
Wenn wir autonome, saubere Fahrzeuge mit den schon erwähnten intelligenten Nutzungskonzepten verbinden und uns per App elektrische Fahrzeuge kommen lassen können und – je nach Zeit und Laune – noch ein paar Leute auf der Strecke mitnehmen, dann ist das sicher ein Teil der Mobilitätszukunft.
Ein intelligentes Auto, das mich mit Namen begrüßt, selbstständig die schnellste Route berechnet und nur noch per Smartphone gesteuert wird: Wie viel Digitalisierung und Vernetzung brauchen wir für eine nachhaltige und effiziente Mobilität?
Wir benötigen nicht viel, sondern eine kluge und ausgewählte Digitalisierung. Diese sollte in den Städten nicht das gesamte Verkehrssystem dominieren. Fußgänger und Fahrradfahrer dürfen nicht gezwungen werden, sich dem Diktat einer Totaldigitalisierung zu unterwerfen.
Nicht nur auf der Straße zeichnen sich technische Veränderungen ab: Lufttaxis und Paket-Drohnen sind teilweise schon Realität. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Den gegenwärtigen Zukunftshype interpretiere ich als Ausweichen vor Entscheidungen, die wir heute schon treffen können: Eine kompakte Siedlungsstruktur und Nutzungsmischung, die es unnötig macht, jetzt auch noch mit dem Lufttaxi unterwegs zu sein. Ich fahre in Frankfurt-Bockenheim fünf Minuten mit dem Fahrrad zur Arbeit. Und statt meine Einkäufe von der Drohne abwerfen zu lassen, fahre ich in sieben Minuten mit der U-Bahn ins Zentrum - wo ich mit echten Menschen sprechen kann, die mich sogar beraten.
Die Mobilität der Zukunft wird auch Auswirkungen auf die bestehende Infrastruktur haben – Straßen, Stellplätze, Verkehrsknotenpunkte etc. müssen neu gedacht werden. Welche Empfehlungen würden Sie Städteplanern und Politikern geben?
Unsere Gründerzeitviertel mit der Blockrandbebauung in den Großstädten und die Altstadtviertel in den Mittelstädten sind schon jetzt vorbildliche Orte der kurzen Wege. Stellplätze können – unter Einbeziehung der Bewohner – zurückgebaut werden. Die Stadtbewohner können hier jetzt flanieren. Auch den restlichen Straßenraum können wir neu aufteilen: Einen breiten Fahrradstreifen mit zwei Spuren für unterschiedliche Geschwindigkeiten, eine Spur für den ÖPNV, der Rest für den individuellen Nullemissionsverkehr.
Im Fahrradmonitor 2017* belegen der ÖPNV und Zugverkehr die letzten Plätze, wenn es um die Beliebtheit einzelner Transportmittel geht. Das Auto belegt Platz 1. Was muss sich ändern, damit öffentliche Verkehrsmittel als attraktiv wahrgenommen und mehr genutzt werden?
In Zürich ist die Tram das Lieblingsverkehrsmittel. Auch bei uns werden sie ziemlich gut genutzt, sind aber dennoch Schimpfobjekt. Die öffentlichen Verkehrsmittel müssen so umgebaut werden, dass auch in den Spitzenzeiten noch Platz und Luft zum Atmen ist. Der Takt muss so dicht sein, dass ich – wie in Berlin, London und Paris – nicht nach Fahrplan fahren muss, sondern spontan jederzeit einsteigen kann. Dabei müssen die Haltestellen, die Fahrzeuge und die Informationsmittel optisch ansprechend, bequem und barrierefrei gestaltet sein. Am Ende möchten wir gerne einsteigen, kommen gut und schnell überall hin und können uns – wie die Züricher – damit identifizieren.
Bitte einsteigen: Eine dichte(re) Taktung würde die Attraktivität des ÖPNV erhöhen. (Quelle: Aintschie /Fotolia.com)
Angenommen, Sie wären für einen Tag Verkehrsminister. Was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Sämtliche Planungswerkzeuge und Regularien würde ich auf den neuen, multioptionalen, zukunftsfähigen Verkehr ausrichten. Die neue Planung würde ich – wissenschaftlich kontrolliert – so gut kommunikativ begleiten lassen, dass alle Bürger verstehen, um was es geht: Dass wir in der gesamten Gesellschaft, das heißt bei allen Beteiligten, einen Wandel der Mobilitätskultur brauchen und dass dafür Technik und neue Produkte allein nicht ausreichen. Auch die Bürger mit ihrem Verhalten sind Teil des Kulturwandels. Sie werden erfahren, dass dieses neue Verhalten Spaß macht, dass es gesünder ist und dass es ein schönes Real-Experiment mit dem eigenen Lebensstil sein kann.
Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Mobilitätsforschung und -kultur. Welche wichtigen Entwicklungen haben Sie beobachtet? Und welche Trends werden uns über die nächsten Jahre begleiten?
Die wichtigste Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur ist, dass es heute – auf Basis der neuen, digitalen Technologien – möglich ist, sich unkompliziert in einer Kette umweltfreundlicher Verkehrsmittel fortzubewegen. Ich kann heute mittels App Fußweg, Fahrradnutzung, ÖPNV und Sharing-Auto miteinander verbinden.
Dieser Großtrend wird uns auch in Zukunft begleiten. Dabei werden wir eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung darüber erleben, wie viel Digitalisierung wir dafür wirklich benötigen: Auf welche Entwicklungen wollen und müssen wir im Sinne einer Bürgergesellschaft, die dem Individuum ihr Privatleben, ihre Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung zugesteht, verzichten?
Zuletzt glaube ich, dass wir darüber nachdenken müssen, ob das Leitbild vom Autostandort Deutschland uns nicht manchmal blockiert – beispielsweise wenn es um Vorschläge für eine zeitgemäße Stadtentwicklung geht.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Götz. (aho)
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Interviewpartner
Dr. Konrad Goetz
Wissenschaftler am ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main mit Schwerpunkt Mobilität und Lebensstile.
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