Die Frage, wie ein nachhaltiges Mobilitätskonzept aussehen kann, beschäftigt immer mehr Menschen. Kostengünstig, effizient, bequem und umweltfreundlich sollen die Transportmittel von morgen sein. Ist diese Idealvorstellung überhaupt realisierbar? Und wie weit sind wir noch davon entfernt? Mobilitätsforscher Dr. Konrad Götz über Lufttaxis, Chancen der Digitalisierung und welchen Beitrag autonome Fahrzeuge leisten können.
Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal 03/2018 erschienen.
Herr Götz, wie bewegen Sie sich persönlich im Alltag am häufigsten fort?
Ich bin meistens mit dem Fahrrad unterwegs.
Dann gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Denn aktuell sind gut 46 Millionen Pkw auf deutschen Straßen unterwegs. Im Durchschnitt sitzen aber nur 1,4 Personen in einem Auto. Müssen wir uns vom bequemen Individualverkehr verabschieden, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen?
Da frage ich: Ist es nicht eine eigentümliche und vor allem unzeitgemäße Vorstellung von Bequemlichkeit, dass man sich bei dem heutigen Verkehrssaufkommen allein in ein Auto setzt, um sich dann im Stop-and-Go durch Staus zu quälen und dass man, endlich am Ziel angekommen, auch noch mühsam einen Parkplatz suchen muss? Ist es denn im Gegenzug wirklich unbequem oder ist es nur ungewohnt, zu Fuß unterwegs zu sein – flanierend, sinnierend oder singend, oder mit dem Fahrrad einzukaufen?
Wenn die viel beschworene Bequemlichkeit mit dem Wunsch nach Intimität zu tun hat: die lässt sich auch in alternativen Verkehrsmitteln herstellen. Etwa in Form von elektrisch betriebenen Einzelfahrboxen, die man sich künftig per Knopfdruck kommen lassen kann. Sicher gibt es dann bei diesem Geschäftsmodell die etwas teurere Variante für Individualisten mit der Option „keine Mitfahrer“.
Auf der anderen Seite nehmen gerade junge Menschen das Auto immer weniger als Statussymbol wahr und setzen eher auf Carsharing, Flixbus oder Mitfahrgelegenheiten. Wird die vielbeschworene Verkehrswende vor allem von der jungen Generationen getragen?
Unsere empirischen Forschungen zeigen, dass der Wandel gar nicht so schnell geht. Aber Sie haben recht: Die Verkehrswende wird einerseits von der jungen Generation in den Großstädten getragen, andererseits von Trendsettern aller Generationen. Nicht vergessen: Die Alt-Ökos haben das Carsharing erfunden, nicht Car2go.
Mehr als ein Drittel der deutschen Bundesbürger lebt in dicht besiedelten Gebieten, wo eine Vernetzung der einzelnen Transportmittel vergleichsweise leicht realisierbar scheint. Welches Mobilitätskonzept halten Sie für den ländlichen Raum am tragfähigsten?
Am wichtigsten ist zunächst, dass es im ländlichen Raum wieder mehr Arbeitsplätze und eine Versorgungsinfrastruktur gibt – wie etwa Läden, Ärzte und Ämter. Diese können idealerweise gut zu Fuß und mit dem Fahrrad erreicht werden. Das Rückgrat bildet ein ÖPNV, der mit modernen, kleinen, effizienten, autonom fahrenden Bussen ausgestattet ist, deren Linien und Takt nach Bedarf funktionieren. Das Auto spielt weiterhin eine wichtige Rolle, aber nicht jedes Familienmitglied benötigt eines. Da können die schon angesprochenen Poolfahrzeuge in Zukunft einen guten Dienst leisten.
In vielen Ländern ist das Ende des Verbrennungsmotors politisch bereits besiegelt. Halten Sie einen gesetzlich verordneten Ausstieg zugunsten von Elektroautos ebenfalls für sinnvoll?
Statt eines gesetzlichen Ausstiegs wäre es sinnvoller alle Alternativen zum Verbrennungsmotor konsequent und sehr großzügig zu fördern – also auch das Radfahren, Zu-Fuß-Gehen und der Nullemissions-ÖV. Wir brauchen außerdem eine dichte Ladeinfrastruktur, denn viele Leute werden am Auto festhalten.
Glauben Sie an die Massentauglichkeit von Fahrzeugen mit Elektromotor? Wenn ja, welche Voraussetzungen müssten dafür geschaffen werden?
Massentauglich sind die Elektrofahrzeuge bereits. Herr Professor Schuh (Anmerkung der Redaktion: CEO von e.GO Mobile) macht ja vor, wie es geht. Aber es wäre nicht sinnvoll, wenn die gleiche Masse an Fahrzeugen – aktuell 555 pro 1.000 Einwohner – nun elektrisch unsere Städte verstopfen würde. Wir brauchen den weiteren Ausbau intelligenter Nutzungskonzepte, die es möglich machen, Autos für die wenigen Wegezwecke zu nutzen, bei denen wir sie wirklich brauchen.
Individuell: Das Smartphone ermöglicht in Zukunft bedarfsorientierte Mobilität. (Quelle: carballo/Fotolia.com)
Autonom fahrende Fahrzeuge rücken immer mehr in den Fokus, wenn es um das Thema „Mobilität von morgen“ geht. Sind selbstfahrende Lieferwagen und Autos die Lösung unserer Mobilitätsherausforderungen?
Wenn wir autonome, saubere Fahrzeuge mit den schon erwähnten intelligenten Nutzungskonzepten verbinden und uns per App elektrische Fahrzeuge kommen lassen können und – je nach Zeit und Laune – noch ein paar Leute auf der Strecke mitnehmen, dann ist das sicher ein Teil der Mobilitätszukunft.
Ein intelligentes Auto, das mich mit Namen begrüßt, selbstständig die schnellste Route berechnet und nur noch per Smartphone gesteuert wird: Wie viel Digitalisierung und Vernetzung brauchen wir für eine nachhaltige und effiziente Mobilität?
Wir benötigen nicht viel, sondern eine kluge und ausgewählte Digitalisierung. Diese sollte in den Städten nicht das gesamte Verkehrssystem dominieren. Fußgänger und Fahrradfahrer dürfen nicht gezwungen werden, sich dem Diktat einer Totaldigitalisierung zu unterwerfen.
Nicht nur auf der Straße zeichnen sich technische Veränderungen ab: Lufttaxis und Paket-Drohnen sind teilweise schon Realität. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Den gegenwärtigen Zukunftshype interpretiere ich als Ausweichen vor Entscheidungen, die wir heute schon treffen können: Eine kompakte Siedlungsstruktur und Nutzungsmischung, die es unnötig macht, jetzt auch noch mit dem Lufttaxi unterwegs zu sein. Ich fahre in Frankfurt-Bockenheim fünf Minuten mit dem Fahrrad zur Arbeit. Und statt meine Einkäufe von der Drohne abwerfen zu lassen, fahre ich in sieben Minuten mit der U-Bahn ins Zentrum - wo ich mit echten Menschen sprechen kann, die mich sogar beraten.
Die Mobilität der Zukunft wird auch Auswirkungen auf die bestehende Infrastruktur haben – Straßen, Stellplätze, Verkehrsknotenpunkte etc. müssen neu gedacht werden. Welche Empfehlungen würden Sie Städteplanern und Politikern geben?
Unsere Gründerzeitviertel mit der Blockrandbebauung in den Großstädten und die Altstadtviertel in den Mittelstädten sind schon jetzt vorbildliche Orte der kurzen Wege. Stellplätze können – unter Einbeziehung der Bewohner – zurückgebaut werden. Die Stadtbewohner können hier jetzt flanieren. Auch den restlichen Straßenraum können wir neu aufteilen: Einen breiten Fahrradstreifen mit zwei Spuren für unterschiedliche Geschwindigkeiten, eine Spur für den ÖPNV, der Rest für den individuellen Nullemissionsverkehr.
Im Fahrradmonitor 2017* belegen der ÖPNV und Zugverkehr die letzten Plätze, wenn es um die Beliebtheit einzelner Transportmittel geht. Das Auto belegt Platz 1. Was muss sich ändern, damit öffentliche Verkehrsmittel als attraktiv wahrgenommen und mehr genutzt werden?
In Zürich ist die Tram das Lieblingsverkehrsmittel. Auch bei uns werden sie ziemlich gut genutzt, sind aber dennoch Schimpfobjekt. Die öffentlichen Verkehrsmittel müssen so umgebaut werden, dass auch in den Spitzenzeiten noch Platz und Luft zum Atmen ist. Der Takt muss so dicht sein, dass ich – wie in Berlin, London und Paris – nicht nach Fahrplan fahren muss, sondern spontan jederzeit einsteigen kann. Dabei müssen die Haltestellen, die Fahrzeuge und die Informationsmittel optisch ansprechend, bequem und barrierefrei gestaltet sein. Am Ende möchten wir gerne einsteigen, kommen gut und schnell überall hin und können uns – wie die Züricher – damit identifizieren.
Bitte einsteigen: Eine dichte(re) Taktung würde die Attraktivität des ÖPNV erhöhen. (Quelle: Aintschie /Fotolia.com)
Angenommen, Sie wären für einen Tag Verkehrsminister. Was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Sämtliche Planungswerkzeuge und Regularien würde ich auf den neuen, multioptionalen, zukunftsfähigen Verkehr ausrichten. Die neue Planung würde ich – wissenschaftlich kontrolliert – so gut kommunikativ begleiten lassen, dass alle Bürger verstehen, um was es geht: Dass wir in der gesamten Gesellschaft, das heißt bei allen Beteiligten, einen Wandel der Mobilitätskultur brauchen und dass dafür Technik und neue Produkte allein nicht ausreichen. Auch die Bürger mit ihrem Verhalten sind Teil des Kulturwandels. Sie werden erfahren, dass dieses neue Verhalten Spaß macht, dass es gesünder ist und dass es ein schönes Real-Experiment mit dem eigenen Lebensstil sein kann.
Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Mobilitätsforschung und -kultur. Welche wichtigen Entwicklungen haben Sie beobachtet? Und welche Trends werden uns über die nächsten Jahre begleiten?
Die wichtigste Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur ist, dass es heute – auf Basis der neuen, digitalen Technologien – möglich ist, sich unkompliziert in einer Kette umweltfreundlicher Verkehrsmittel fortzubewegen. Ich kann heute mittels App Fußweg, Fahrradnutzung, ÖPNV und Sharing-Auto miteinander verbinden.
Dieser Großtrend wird uns auch in Zukunft begleiten. Dabei werden wir eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung darüber erleben, wie viel Digitalisierung wir dafür wirklich benötigen: Auf welche Entwicklungen wollen und müssen wir im Sinne einer Bürgergesellschaft, die dem Individuum ihr Privatleben, ihre Individualität, Freiheit und Selbstbestimmung zugesteht, verzichten?
Zuletzt glaube ich, dass wir darüber nachdenken müssen, ob das Leitbild vom Autostandort Deutschland uns nicht manchmal blockiert – beispielsweise wenn es um Vorschläge für eine zeitgemäße Stadtentwicklung geht.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Götz. (aho)
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Interviewpartner
Dr. Konrad Goetz
Wissenschaftler am ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main mit Schwerpunkt Mobilität und Lebensstile.
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