„Mobility as a Service“: Verliert Deutschland den Anschluss?

Der bisherige Wertschöpfungsprozess der Automobilhersteller basiert auf dem Auto. Ebenso fokussiert sich die ­öffentliche Diskussion rund um die Veränderung der Mobilität hierzulande fast ausschließlich auf das Auto. Diese Haltung findet unser Gastautor Michael Tschakert überholt: Für ihn steht das Zusammenspiel verschiedener Dienstleistungen im Mittelpunkt der „User Journey“.

1.1. Einleitung

Während in Deutschland die The­men Dieselfahrverbote und in Ansätzen auch Elektromobilität kontrovers diskutiert werden, vollzieht sich global ein disrup­tiver Wandel der Mobilität. An­getrieben von 500 Milliarden US-Dollar an verfügbarem Kapi­tal alleine bei Amazon, Google, Apple, Uber und Tesla sowie durch ehrgeizige Pläne in China entsteht eine Entwicklung, die den Automobilstandort Deutsch­land und die damit verbundenen Arbeitsplätze massiv gefährdet. Und dabei geht es nicht um den Umstieg vom konventionellen auf den alternativen Antrieb, sondern vielmehr um die neuen Möglich­keiten, die durch das autonome Fahren im Zusammenspiel mit der Entwicklung hin zum „Ride on Demand“, also dem Abruf indivi­dueller Mobilität von überall und zu jeder Zeit, entstehen.

2.2. Vom Device zu „Mobility as a Service“

Im Zentrum des bisherigen Wertschöpfungsprozesses der Automobilhersteller steht das Auto. Von diesem aus werden Konnektivität und vor allem Services ge­dacht. Im Silicon Valley wird die Entwicklung dagegen von den Services ausgehend vorangetrieben, womit das „Device“, sprich das Auto, eine austauschbare ­Größe, beziehungsweise ein reines Transportgut wird. Das ­Besitzen eines „Device“, welches in den meisten Fällen zu 90 % steht, nicht genutzt wird und verrostet, wird ersetzt werden durch „Mobility as a Service“. Es ent­steht eine individuelle, auf die persönlichen Bedürf­nisse ausge­richtete Mobilität. Diese Services werden derzeit ­beherrscht durch die großen amerikanischen Technologieunternehmen, die genügend Erfahrungen gesammelt haben und über „Big Data“ die Ansprüche, ­Vorlieben und Rhythmen ihrer Nutzer kennen.

Das autonome Fahren verstetigt diesen Trend, da ein selbstständig fahrendes Auto Passagiere zu jederzeit überall abholen und transportieren kann. Dies macht die Fortbewegung wesentlich unabhängiger und ­flexibler. Zudem entstehen dadurch ungeahnte Möglichkeiten der Stadtentwicklung. Ein „Rückgewinnen“ der Städ­te ist die Folge, da keine zentralen Parkflächen benö­tigt werden, der Verkehr insgesamt durch intelligente ­Steuerung sogar abnehmen wird. Es muss ­keine Zeit mehr mit endloser Parkplatzsuche – allein die Parkplatz­suche kostet jeden Deutschen laut einer Studie von IN­RIX durchschnittlich 41 Stunden im Jahr (siehe Bild 1) – oder durch Staus in der Rush Hour vergeudet werden. Die Luftverschmutzung in den Städten wird durch den Einsatz emissionsfreier Fahrzeuge drastisch verringert. Die „Neue Mobilität“ bedeutet demnach zunächst deutlich mehr Komfort und Freiheit und ­reduziert die ­Mobilitätskosten oder anders ausgedrückt, die schöne, neue Welt wird erst einmal ökologische, ökonomische und auch soziale Vorteile mit sich bringen.

Bild 1 Zeit Parkplatzssuche pro Jahr

Bild 1: In Frankfurt a.M. verbringen Fahrer im Schnitt 65 Stunden im Jahr mit der Suche nach einem Parkplatz. (Quelle: INRIX/Cheil Germany GmbH)

3.3. Automobilindustrie im direkten Wettbewerb mit Technologieunternehmen

Deutschland steht bisher, ausgehend vom Automobil, durch die heimischen Hersteller und Zulieferer an der Spitze der Entwicklung. Neue Technologien, wie ­Batterie oder Brennstoffzelle, werden in Deutschland, wenn auch mit zeitlichem Verzug, forciert. Genau darum geht es aber nicht. Die ­alternativen An­triebe sind lediglich ein Vehikel, ein aus­tauschbares Gut im Rahmen der „Neuen Mobilität“, die maß­geblich von anderen Entwicklungen be­stimmt werden wird.

Die Verbindung von autonomem Fahren und „Ride on Demand“ führt zu „Mobility as a Service“ und wird in alle Lebensbereiche Einzug halten: „Lifestyle as a Service“, „Food as a Service“, etc. Aus diesem Grund streben auch die deutschen Automobilhersteller in Richtung des Mobilitätsdienstleisters, da hier an der Schnittstelle zum Kunden und mit dessen Daten zu­künftig die Wertschöpfung stattfinden wird.

Damit tritt die Automobilwirtschaft in den direkten Wettbewerb zu Technologieunternehmen, die längst an der allumfassenden „Mega-Lifecycle-App“ arbeiten, die den Konsumenten und Bürger in allen Lebenssituationen begleiten soll. Bereits jetzt hat beispielsweise Amazon die Logistikprozesse digital perfektioniert. Letztlich macht es kaum einen Unterschied, ob es sich bei dem Prozess um ein Paket aus einer Onlinebestellung oder einen Menschen handelt, der von A nach B transportiert wird. Ob Apple ­seine Features und Usability für das „fahrende iPhone“ nutzt, wird bereits seit Längerem diskutiert. Ganz vorne wird sicherlich Google mit seiner Datenmacht stehen. Zu besichtigen ist dies bereits jetzt in Mountain View, wo auto­nome „Google Cars“ im Straßenbild allgegenwärtig sind.

Zukünftig werden Elektro-Taxis also Passagiere se­kundengenau von zu Hause abholen und beispielweise zum Flughafen fahren. Dies geschieht voll automati­siert. Ihr Mobilitätsprovider kennt ihren Terminkalender und die darauf basierenden Mobilitätsbedürfnisse. Das Fahrzeug transportiert dabei nicht nur autonom, son­dern erledigt auch die dazugehörigen Services wie bei­spielsweise Check-in, Sicherheits- und Passkontrolle voll­automatisiert, während es aktuelle Informationen zum Ziel oder dem dortigen Gesprächspartner bereithält.

Bild 2 Intelligentes und vernetzes Fahrzeug b

Bild 2: In einem autonomen Fahrzeug stehen dem Passagier digitale Services zur Verfügung. (Quelle: chombosan/fotolia.com)

4.4. Bedeutung für die deutsche bzw. europäische Fahrzeugindustrie

Da nun der Service und nicht mehr das Auto im Mittel­punkt der Wertschöpfungskette steht, kann sich die Mone­tarisierung der Leistungen zu den Technologieunterneh­men verschieben und somit vor allem in Deutschland zu einem ­Dominoeffekt führen. Denn, wenn die Automobil­hersteller fallen, folgen auch die Zulieferer, Maschinen­bauer etc. Mehrere Millionen Arbeitsplätze drohen ersatz­los wegzufallen. Sicherlich wird dies nicht 2020 der Fall sein. Aber wer meint, dass dies alles noch weit in der Zu­kunft liegt und für heute keine Konsequenz hat, der irrt.

Getrieben wird diese Entwicklung nämlich von den Staaten, die entweder keine eigene Automotive-­Branche haben oder in dieser neuen Entwicklung eine industriepolitische Chance ausmachen, allen voran ­China und die Golfstaaten. Hier kann das nötige Kapital mit einem schnellen und unbürokratischen Aufbau von infrastrukturellen und rechtlichen ­Rahmenbedingungen kombiniert werden. So soll 2020 zur Expo in Dubai das erste autonom fliegende Elektro-Taxi von Uber zum Ein­satz kommen. Diese Staaten werden zu Testfeldern, von ­denen aus die weiteren Märkte erschlossen werden.

Diese globale Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Deutschland kann nur versuchen, durch Innovationskraft den Abstand zu den Technologieunternehmen zu verrin­gern und durch Setzung zukunftsgewandter politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen die eigene und die europäische Wirtschaft zu einem Treiber der Entwicklung zu machen. Wesentlich wird zudem sein, die Bürger in die­se Entwicklung einzubinden und ihnen vor allem Ängste und Vorbehalte zu nehmen. Geschieht dies nicht, so wird die deutsche Automobilindustrie zum Getriebenen, dem mittelfristig die „Puste ausgehen“ wird. Deutschlands über 125-jährige Auto-Tradition wird dann nur noch als kollek­tive Erinnerung im Museum zu bewundern sein.

  • Michael Tschakert

    Autor

    Michael Tschakert

    Business Director Public Services & Future Mobility

     

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