Die Idee der werbenden Ladesäule entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Hochschule Kempten: Die Ladesäule dient zu ihrer eigenen Finanzierung als Werbefläche, die Stromabgabe für den Kunden ist kostenlos. Sanja Uzelac leitet das daraus hervorgegangene Unternehmen Commercial Charger seit 2017 als Geschäftsführerin. Im Interview spricht sie über den Vorteil von AC-Ladepunkten, Kriterien für die Standortwahl und wie werbende Ladesäulen den Ausbau der Ladeinfrastruktur positiv beeinflussen können.
Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal 03/2018 erschienen.
Frau Uzelac, welchen Beitrag können werbewirksame Ladesäulen leisten, um die Elektromobilität in Deutschland voranzutreiben?
Sanja Uzelac: Meiner Ansicht nach einen großen, denn es gibt keine andere Lösung, die den Ladestrom kostenfrei anbietet und dennoch wirtschaftlich betrieben werden kann. Während alle anderen den Ladestrom verkaufen müssen, können mittels der EGO-Ladesäule ganz neue Geschäftsmodelle und Umsetzungen zur Finanzierung beschritten werden.
Das Konzept ist sehr einfach: Auf der einen Seite bieten wir eine Sponsoring-Fläche, auf der sich beispielsweise eine Gemeinde oder Stadt präsentiert und dafür die Standortkosten (Erschließung) trägt oder eine Marke als Sponsor, die durch ihre Werbepräsenz anteilig den Ladestrom trägt. Das Gros der Einnahmen erfolgt dann über die Werbung, über die ebenfalls anteilig der Ladestrom finanziert wird.
Der Elektromobilist geht selbstverständlich bevorzugt dort laden, wo es ihn nichts oder wenig kostet, die EGO-Ladesäule wird damit zum präferierten Ladepunkt, dies zieht mehr Kunden an, was wiederum zur höheren Sichtbarkeit und Reichweite für die Advertiser führt. Alle profitieren davon. Das und wie dieses Konzept funktioniert, evaluieren wir derzeit an unseren Pilotstandorten und wollen selbstverständlich aus Überzeugung in die Vorleistung gehen.
Wer steckt hinter Commercial Charger und wie kam es zur Entwicklung der werbewirksamen Ladesäule EGO?
Die Idee der werbenden Ladesäule ist im Rahmen des Forschungsprojektes eeTour an der Hochschule Kempten (HKE), welches in der Zeit von 2009 bis 2011 lief, entstanden. Das Projektziel war, nachzuweisen, dass Elektromobilität in Verbindung mit moderner Kommunikationsinfrastruktur auch im ländlichen Raum effizient betrieben werden kann. Neben technischen Lösungen wurden auch zukunftsfähige Geschäftsmodelle und entsprechende Abrechnungssysteme entwickelt und getestet.
Jens Häberle (Fahrzeugtechnik-Ingenieur) und Norbert Baumann (Informatiker), damals Studenten der HKE, konzipierten im Rahmen des Forschungsprojektes die Idee dieser Ladesäule, die mehr als nur Laden bietet. Bereits damals erkannten die beiden, dass es außer dem Laden smarte Mehrwertdienste geben muss, um sowohl die Investition einer solchen Anlage als auch den laufenden Betrieb ökonomisch sinnvoll mitzufinanzieren. 2011 haben Häberle und Baumann die Commercial Charger UG als Hochschul-Spinn-Off gegründet. Die Entwicklung und der Bau vieler Prototypen erfolgten aus der Garage heraus und wurden völlig privat finanziert.
Die EGO-Ladesäule habe ich erstmals 2015 auf der eCar Tech gesehen, als ich auf der Suche nach einer Ladesäule war, die meine damalige Geschäftsidee perfekt ergänzen würde. Es war „Liebe auf den ersten Blick“. Beide Geschäftsführer waren sehr offen und interessiert, gemeinsam mit ihrem Produkt meine Geschäftsidee einer smarten Lade-App umzusetzen.
Seit 2016 arbeiteten wir quasi nebenberuflich zusammen an der Weiterentwicklung. Es galt einiges an der Ladesäule zu optimieren, insbesondere im Hinblick auf zahlreiche normative Anforderungen, Implementierung eines OCPP-fähigen eigenen Backends, Schaffung der Voraussetzungen für die Interoperabilität, etc. Heute stehen wir kurz vor der Serienreife. All das wurde, entgegen dem heutigen Trend der Start-ups, ohne Investoren und Fremdkapital gestemmt – darauf sind wir besonders stolz.
Mitte 2017 habe ich 100 Prozent der Anteile von Commercial Charger übernommen. Meine ehemaligen Partner stehen mir heute nur noch beratend zur Seite. Rückblickend war es für mich, als hätte ich einen verborgenen Schatz geborgen, da beide Geschäftsführer kurz davor waren, ihr „Hobby“ aus Zeitgründen gänzlich aufzugeben. Die Ladesäule ist für mich ein Zeugnis für die schöpferische Erfinderkraft dieser Region. In der EGO steckt viel Leidenschaft und sie wurde aus großer Überzeugung konzipiert und mit ebenso viel Engagement und Beteiligung bei vielen Pilot-Kunden, wie der Stadt Leutkirch oder der Hochschule Kempten, fortwährend getestet.
Die EGO wurde bis Mitte 2017 im Allgäu gefertigt. Heute planen wir die Serienfertigung als Auftragsfertigung mit einem renommierten deutschen mittelständischen Unternehmen, selbstverständlich zu 100 Prozent in Deutschland, denn die Qualität ist für uns ein wichtiger Aspekt und wir sind überzeugt, diese in der gesamten Wertschöpfung am besten mit unseren Lieferanten und Partnern hierzulande zu gewährleisten.
Das Besondere an Ihren Ladesäulen ist der Werbebildschirm, der Kunden das Abspielen von statischer und dynamischer Werbung ermöglicht und individuell gestaltet werden kann. Für welche Kunden eignet sich diese Werbemöglichkeit?
Anfangs war die EGO noch recht eckig, ähnlich einem Schaukasten, die ersten Monitore waren lediglich 47 Zoll groß. Da wir nicht aus der Werbebranche kommen, galt es über die Jahre, viel Erfahrung durch Pilotprojekte zu sammeln, wie Digital Signage (DS) bzw. digitale Werbestellen funktionieren.
Heute haben wir eine professionelle DS-Lösung nicht nur hardware-, sondern auch softwareseitig. Glaubten wir anfangs alles selber erfinden zu müssen, was Zeit und vor allem Geld kostet, setzen wir heute auf eine smarte Integration bereits im Markt existierender und namhafter Lösungen. Das DS unseres Produktes kann daher ohne Einschränkungen von verschiedenen Werbekunden betrieben werden, ebenso wie von der Marketing-Abteilung eines Unternehmens oder Dienstleisters.
Die Werbung kann und soll jeden erreichen, also nicht nur die Elektromobilisten, die die EGO anfahren. Das heißt jeder, der seinen Kunden ansprechen möchte, sei es der Einzelhandel, der besondere Angebote bereit hält oder das Hotel, das seinen Kunden besondere Dienstleistungen während des Aufenthaltes anbieten möchte. Im Prinzip funktioniert die Werbung über die EGO nicht anders als die Werbung, wie man sie im öffentlichen Raum kennt, sei es über CLP (City-Light-Plakate), Jumbo-/Mega-Plakate oder Litfaßsäulen. Aus Werbesicht ist die Reichweite eines der wichtigsten Kriterien, die vom Aufstellort abhängig ist.
Den Charme des DS macht jedoch die Möglichkeit aus, viel Content auf ein Medium zu packen und die Werbung viel ansprechender und interessanter in der Wahrnehmung zu gestalten. In einem Werbe-Loop von etwa sechs Minuten können beispielsweise 15 Werbepartner zuzüglich Wetter und News platziert werden, die pro Stunden je nach Slotdauer (Ausstrahldauer) mindestens zehn Mal gesichtet werden (siehe Bild 2). Das ist nur eine beispielhafte Anwendung.
Darüber hinaus kann DS sehr einfach und zielgerichteter durch Geomarketing platziert werden. Als Beispiel: Die EGO eines jeden Standorts kann lernen, wer sie benutzt und welche Zielgruppen sie frequentieren und das alles auf Tages- und Wochentagsbasis.
Bild 2: Beispiel einer Werbezeitverteilung. (Quelle: Commercial Charger GmbH)