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Die Initiative Zukunftsmobilität entwickelt seit 2010 gemeinsam mit ihren Kunden Mobilitätskonzepte, die insbesondere Herausforderungen im ländlichen Raum adressieren. Im Interview äußert sich Gründer Christian Klaiber über den Informationsbedarf in den Kommunen und das Ziel, den Kreis zwischen Elektromobilität und Klimaschutzzielen zu schließen.

Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal Ausgabe 04/2018 erschienen.

 

Herr Klaiber, 2010 haben Sie die Initiative Zukunftsmobilität gegründet, die zusammen mit Kunden nachhaltige Mobilitätslösungen insbesondere für den ländlichen Raum erarbeitet. Welche Konzepte sind im ländlichen Raum im Vergleich zur Stadt von Bedeutung?

Christian Klaiber: 2012 habe ich zum ersten Mal öffentlich die Frage gestellt: Welche Probleme lösen wir, wenn wir alle in der Stadt elektrisch fahren? Der Stau verkürzt sich, weil die Elektroautos kompakter sind, habe ich damals gesagt. Gleichzeitig können wir CO₂-Emissionen reduzieren. Wir lösen aber nicht die drängendsten Probleme der Stadt: die Verkehrsdichte, das Parkplatzproblem, die mangelnde Lebensqualität. Das heißt: Wir lösen keine gesellschaftlichen Probleme, sondern nur die technische Aufgabe. In der Stadt brauchen wir andere Mobilitätslösungen als die individuelle Pkw-Lösung.

Die Elektromobilität gehört deshalb für mich nicht in die Stadt und in Ballungsräume, sondern in den ländlichen Raum. Dort kann ich schlechter auf den ÖPNV oder andere Mobilitätslösungen ausweichen und muss viele Strecken mit dem Auto zurücklegen. Selbst Kleinstädte in Mittelzentren im ländlichen Raum sind rein autozentriert ausgerichtet. Gerade in Städten mit Zubringer- und Pendelverkehr, der lange Staus produziert, reichen elektrische Alternativen schon lange aus, um die Strecken zu bedienen. Neben Mitfahrdiensten, die die oft nur mit einer Person besetzten Autos füllen, haben elektrische Alternativen großes Potenzial: Mehr als 150 km müssen selten zurückgelegt werden und das können moderne Elektroautos gut leisten.

Wie darf man sich die Entwicklung eines Konzepts konkret vorstellen? Kommen Kommunen und Unternehmen direkt auf Sie zu?

In der Regel kommt man ins Gespräch, indem die Kommunen durch Projekte, die wir schon umgesetzt haben, oder über Veranstaltungen auf uns aufmerksam werden. Ausgangspunkt ist für uns immer: Welche Probleme bestehen in der jeweiligen Kommune? Bei unserem größeren Projekt in Bad Säckingen waren das zum Beispiel die Erhaltung des Kurstatus, aber auch die Verkehrsdichte. Schnell ist aber auch immer die kommunale Entwicklung und die Wirtschafts- und Tourismusförderung einer Kommune Thema. Bei Unternehmen dagegen sind die Schlüsselthemen häufig Parkplatzkosten und der zunehmende Fachkräftemangel. Elektromobilität und Mobilitätslösungen müssen dann so konzipiert werden, dass Mitarbeiter stärker an das Unternehmen gebunden werden. Allgemein sind wir also auf der Suche nach Mobilitätslösungen, die in diese eigentlichen Problemfelder hineinspielen. Wir verstehen uns daher als Realitätsschnittstelle der Elektromobilität, die die Anwendungsseite im Blick hat.

Inwiefern sind Sie dann auch bei der Umsetzung der Konzepte beteiligt?

Nachdem wir ausgehend von der Problemanalyse ein Konzept erarbeitet haben, machen wir Umsetzungsvorschläge. Wir führen diese möglichen Lösungen sehr konkret aus und geben im besten Fall auch an, welche Kosten dabei entstehen. Die Kommune entscheidet z.B. dann, welche Projekte sie umsetzen möchte und, ob wir bei der Umsetzung beteiligt sein werden. Wir versuchen, wenn wir weiter zusammenarbeiten auch immer, innerhalb der Kommune Einheiten zu schaffen und Zellen zu organisieren, die in den Prozess eingebunden sind und mitarbeiten. Den jeweiligen Hauptakteuren vor Ort bieten wir auf Veranstaltungen dann auch die Plattform, die eigenen umgesetzten Projekte vorzustellen. So werden Anreize für weitere Unternehmen geschaffen, ebenfalls in das Thema einzusteigen.

Welche Dienstleistungen bieten Sie konkret an?

Wir haben drei Geschäftsfelder bei der Initiative Zukunftsmobilität. Zum einen bieten wir klassische Beratung an und erarbeiten Mobilitätskonzepte für Kommunen und Stadtwerke. Im Moment arbeiten wir aber auch viel mit Energieversorgungsunternehmen im Bereich Geschäftsfelderentwicklung zusammen. Wir unterstützen die Unternehmen also dabei, profitable Geschäftsfelder zu entwickeln. Aber auch im Bereich Ladeinfrastrukturkonzeption sind wir sehr aktiv. Dabei handelt es sich um überregionale bzw. interkommunale Projekte, bei denen ganze Regionen betrachtet werden.

Bild 1: In der Kurstadt Bad Säckingen baten die Stadtwerke die Initiative Zukunftsmobilität um Unterstützung bei der Entwicklung einer praxisgerechten Ladeinfrastruktur

Bild 1: In der Kurstadt Bad Säckingen baten die Stadtwerke die Initiative Zukunftsmobilität um Unterstützung bei der Entwicklung einer praxisgerechten Ladeinfrastruktur © Initiative Zukunftsmobilität

 

Unser zweites Geschäftsfeld ist die Erarbeitung und das Angebot von IT-Lösungen, die die Erfahrungen aus all unseren Projekten in sich vereinen und umfassende Mobilitätslösungen beinhalten. Wir haben diesen ganzheitlichen Ansatz einmal „Mobilität 4.0“ genannt. Der Grundgedanke war, bestehende Systeme miteinander zu vernetzen, so zum Beispiel Sharing- und Mitfahrdienste mit dem ÖPNV. IT-technisch stößt man bei bestehenden Systemen schnell an Grenzen. Daher haben wir zusammen mit Partnern neue IT-Lösungen entwickelt und sind dabei die ersten Projekte umzusetzen.

Im dritten Geschäftsfeld bieten wir Veranstaltungen wie zum Beispiel Elektromobilitätstage und Events an. Das Weiterbildungsthema haben wir ausgelagert in eine andere Einheit. Aus einem Schaufensterprojekt in Bayern/Sachsen ist der Smart Advisor entstanden, eine Weiterbildung zum Zertifizierten Elektromobilitätsberater der Handwerkskammer in München, die wir gerade nach Baden-Württemberg holen und aufbauen. In diesem Kontext bieten wir selbst auch nebenberufliche Weiterbildungen an, aber auch zielgruppenspezifische Kompaktseminare zum Beispiel für Klimaschutzmanager. Klimaschutzmanager sind eigentlich in der Kommune die richtigen Ansprechpartner für Elektromobilität bzw. nachhaltige Mobilität insgesamt, sind aber selten richtig im Thema. Im Umfeld des ersten Förderkurses des Bundes haben wir auch angefangen, Förderkurse für kommunale Entscheider anzubieten, um sie darin zu schulen, worüber sie eigentlich entscheiden.

 

Bild 2: Bei Veranstaltungen zur Elektromobilität werden Aktuere vor Ort auf die Bühne gebeten, um Anreize für weitere Unternehmen zu schaffen

Bild 2: Bei Veranstaltungen zur Elektromobilität werden Aktuere vor Ort auf die Bühne gebeten, um Anreize für weitere Unternehmen zu schaffen. © Initiative Zukunftsmobilität


Wo sehen Sie hier am meisten Informationsbedarf?

Nach wie vor ist leider immer noch zu wenig Information verfügbar. In den kommunalen Gremien und Verwaltungen, aber auch in den Stadtwerken ist wenig Bezug zur Realität vorhanden. Zum Beispiel erleben wir immer wieder, dass von Schnellladen bei einer AC-Ladeleistung von 22 kW gesprochen wird, was aber in jeder Ladesäulenverordnung als Normalladen ausgewiesen ist. Auch hält sich die Angst hartnäckig, mit einem Elektroauto nach 80 Kilometern liegen zu bleiben. Es fehlt somit an grundsätzlichen Informationen. Oft kommen Bürgermeister auf uns zu, denen von Sharinganbietern Elektroautos und Energieversorgern Ladesäulen zum Kauf angeboten werden, obwohl ihr Problem ein ganz anderes ist: Eine Mobilitätsanforderung zu lösen.

Aus Sicht der Kommune werden mit Elektromobilität keine Probleme gelöst, sondern neue geschaffen: Es muss Geld in die Hand genommen werden, es wird technisch und komplex und die Kommune ist auf Anbieter angewiesen, deren Angebote sie gar nicht einschätzen kann. Hier setzen wir also an und informieren, zeigen aber auch Mobilitätskonzepte auf, die tatsächlich das Problem der jeweiligen Kommune adressieren. Die Konzepte sollen natürlich möglichst nachhaltig sein, gehen aber weit über Elektromobilität hinaus und vernetzen sämtliche bestehende Systeme. Multimodale Mobilitätsketten, wie sie so schön in Studien angepriesen werden, müssen allerdings nicht nur für affine Bürger attraktiv, sondern auch für den Ottonormalverbraucher umsetzbar sein.

Wer ist Ihrer Ansicht nach in der Pflicht, Informationslücken zu schließen und die Elektromobilität voranzutreiben?

Jeder einzelne ist in der Pflicht, sich selbst zu informieren. Ich weiß nicht, ob man dafür jemanden verantwortlich machen kann. Es ist die Aufgabe der Kommune im Rahmen des Klimaschutzprozesses dafür zu sorgen, dass ein Informationsfluss stattfindet, der auch zu einem Ergebnis führt. Ich hatte ein Klimaschutzkonzept in der Hand, das von einem großen  Energieversorgungsunternehmen erstellt wurde. Da steht dann beispielsweise im Handlungsfeld 4 des EA-Prozess E-Mobilität, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur gefördert werden sollte. Es wurde auch berechnet, wie viele Kilometer man mit dem Elektroauto fahren kann und wie viel CO₂ man einspart. Dann wurde der Vorschlag aufgeführt, Carsharing und Bürgerbusse einzuführen, allerdings ohne darauf einzugehen, was das genau bedeutet und welche Wirkung die Maßnahmen haben können.

An dieser Stelle sollte sich die Kommune überlegen, welche Zielsetzungen entscheidend für den Klimaschutz sind. In einem solchen Verfahren wird man irgendwann an den Punkt kommen, dieses Handlungsfeld der Elektromobilität bespielen zu müssen. Dann beschließt man eben, ein Carsharing einzuführen und die Kommune übernimmt die Kosten, da es sonst niemand tut. Im besten Fall wird dieses Angebot genutzt, im ländlichen Raum ist das aber oft nicht der Fall. Dann geht das zu Lasten des kommunalen Haushalts. Spätestens an dieser Stelle muss die Kommune sich fragen, wen betrifft es noch und, wen können wir mit ins Boot holen.

 

Bild 3: In Bad Säckingen wurden die unterschiedlichen Aktivitäten der EEA-Kommune zusammengeführt, um daraus ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept zu erarbeiten.

Bild 3: In Bad Säckingen wurden die unterschiedlichen Aktivitäten der EEA-Kommune zusammengeführt, um daraus ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept zu erarbeiten. © Initiative Zukunftsmobilität

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Entscheider in Kommunen oftmals zu technisch denken. Was haben Sie damit gemeint?

In Deutschland wird das Thema des Klimaschutzes, das eigentlich der Hauptantrieb sein sollte, nicht genug mit durchgängigen Prozessen nachverfolgt. Viel eher scheinen wir eine technische Diskussion über Reichweiten, Ladeinfrastruktur, über Kosten und Glaubensfragen zu führen. Wir erleben, dass der Gemeinderat von Kommunen mit ernsthaftem Emissionsproblem einen vom Bund geförderten Klimaschutzmanager ablehnt, weil dafür keine Stelle geschaffen werden kann.

Seit Jahren wird den Kommunen die Vorreiterrolle in der Elektromobilität zugesprochen, unklar ist aber, wie diese aussehen soll. Man errichtet also Ladeinfrastruktur und elektrifiziert den Fuhrpark, um der Vorbildfunktion gerecht zu werden. Der ganzheitliche Rahmen, der wirklich Effekte erzielt, fehlt allerdings. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den Kreis zwischen Klimaschutzzielen und der Elektromobilität zu schließen, sodass daraus messbare Ziele für nachhaltige Mobilität abgeleitet werden können – mit Kenngrößen, die sich im Klimaschutz wiederfinden.

Mit Klimaschutzverfahren wie dem EEA (European Energy Award) kann Bronze-, Silber- oder Goldstatus erreicht werden – über Ziele, die sich die Kommune selbst setzen kann. In den Kommunen, in denen wir tätig waren, sind die verkehrsbedingten Emissionen konstant geblieben oder sogar gestiegen, wohingegen alle anderen Emissionen wie Gebäudeemissionen gesunken sind.

Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler forderte in einem Gastbeitrag für Die Zeit die Bürgermeister der einzelnen Städte und Kommunen dazu auf, nicht auf Entscheidungen des Bundes zu warten, sondern selbst aktiv zu werden. Würden Sie das unterschreiben?

Der Haushalt vieler Kommunen ist knapp und es entsteht der Eindruck, dass viel nur unternommen wird, weil es dafür Fördergelder gibt und man so die Co-Finanzierung dann schon irgendwie stemmen kann. Wir haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland eine Kultur gezüchtet, die wirklich darauf aus ist. Erst wenn Förderprogramme aufgelegt werden, ist plötzlich vieles möglich. In anderen Ländern wie beispielsweise in der Schweiz, wo wir auch einen Kunden haben, gibt es keine oder kaum Förderungen und es bewegt sich trotzdem viel. Unsere Erfahrung zeigt, dass der, der in Sachen Elektromobilität oder Mobilität im Allgemeinen aktiv wird, ein Problem erkannt hat, das er lösen möchte.

Natürlich möchte jeder die Probleme wirtschaftlich sinnvoll lösen, ohne Verluste zu machen und möglichst Gewinne einfahren. Manches geht natürlich nicht ohne Förderung, aber grundsätzlich würde ich Herrn Rammler durchaus beipflichten: Lieber nicht lange schielen und warten, ob es dafür Geld gibt, sondern einfach machen. Die meisten Kommunen wissen, wo sie klimaschutztechnisch stehen. Aus diesem Prozess heraus kann die Kommune eigentlich schon handeln. Bei einer genaueren gemeinsamen Analyse, stellen sich die Aufgaben, die gelöst werden müssen, und auch die möglichen Stellschrauben schnell heraus.

Der Bund hat erst kürzlich 35 Millionen in die Förderung von Elektrobussen investiert. Das sind hohe Summen, die sich immer nach viel anhören. Reicht die Förderung aus?

Das muss man immer in Relation sehen: Ein Elektrobus kostet in der Anschaffung immer noch doppelt so viel wie sein Pendant mit Verbrennungsmotor. Noch dazu stellt sich die Frage, wo ein Elektrobus gekauft werden kann. Anlaufstellen sind da immer noch eher Polen und China als Deutschland. Vor diesem Hintergrund sollte dann genau überlegt werden, wofür die Steuergelder am sinnvollsten eingesetzt werden. Wir haben in unseren Projekten schon einige Elektrobusse eingesetzt. Das waren immer umgerüstete 20-Sitzer-Sprinter mit 5,5 Tonnen. Das Umrüstungsunternehmen wollte dann eigentlich auch einen 50-Sitzer-Bus umrüsten, aber nach einem Besuch bei einem chinesischen Unternehmen, das im Jahr 1.000 Elektrobusse baut, hat man das schnell wieder fallengelassen.


Sie haben bereits 2011 begonnen den Fuhrpark Ihres Unternehmens auf elektrische Fahrzeuge umzustellen und erweitern diesen gerade um Lasten-Pedelecs. Warum zögern noch so viele Unternehmen, ebenfalls auf Elektromobilität zu setzen?

Das kommt sehr auf die Anforderungen im jeweiligen Unternehmen an. Wir haben beispielsweise gerade zusammen mit Partnern einen Fuhrpark mit knapp 100 Fahrzeugen analysiert. Über Fahrprofil, Nutzung etc. kann man eine Größenordnung von 25 Fahrzeugen sofort elektrifizieren. Das wissen Unternehmen aber oftmals nicht und wissen auch nicht, welche Fahrzeuge sich anbieten. Dann stellt sich auch die Frage: Ist es damit getan, den Fuhrpark zu elektrifizieren oder hat das Unternehmen noch eine ganz andere Aufgabe? Geht es vielleicht nicht eher darum, den Mitarbeitern eine Alternative zu bieten, zur Arbeit zu kommen. 2014 haben wir das erste größere Projekt mit Unternehmen im ländlichen Raum im Auftrag des Landes Baden-Württemberg erarbeitet. Da sind wir auf Unternehmen gestoßen, deren Mitarbeiter bzw. insbesondere Mitarbeiterinnen beklagt haben, dass sie, wenn sie in Teilzeit arbeiten, im Grunde dafür arbeiten, sich das Auto zu finanzieren, mit dem sie in die Arbeit kommen. Würden sie nicht arbeiten, bräuchten sie auch kein Auto.

Mit einem Elektroauto würde man natürlich die CO₂-Emissionen reduzieren, die Kosten würden aber noch steigen und damit die Bereitschaft umzusteigen sinken. Da müssen wir andere Lösungen schaffen. Selbst das Auto von jemandem, der wie ich 70.000 Kilometer im Jahr fährt, steht die meiste Zeit an Ort und Stelle. Natürlich könnte das Unternehmen Elektroautos kaufen und den Mitarbeitern mit Gehaltsumwandlung etc. zur Verfügung stellen. Das wäre allerdings in den meisten Fällen aufwendig und komplex und ist vielfach auch ein Mengen- und Gleichbehandlungsthema. Deshalb macht es Sinn, größer zu denken. Im kommunalen Rahmen sieht man dann wie die Anforderungen insgesamt gelagert sind und holt die Unternehmen mit an den Tisch. Die Kommune allein kann die Probleme schließlich nicht lösen.

Inwiefern spielen Bürgerbeteiligungen bei Ihren Projekten eine Rolle?

In den Kommunen haben wir für Bürgerbeteiligungen verschiedene Formate, die auf die jeweilige Kommune zugeschnitten sind. Grundsätzlich ist die Bereitschaft immer da, die Gruppe ist nur größer oder kleiner. Diese Gruppen bilden bisher interessanterweise einen guten Querschnitt der Gesellschaft ab. Selbst in Projekten mit nur kleinen Gruppen sind die Konzepte bisher auf große Akzeptanz bei den Bürgern gestoßen. Bei einem Projekt haben wir einen Bürgerworkshop organisiert, bei dem es darum ging sieben Teilorte miteinander zu verbinden und auch Touristen die Möglichkeit zu bieten, sich ohne das eigene Auto fortzubewegen. Wir waren überrascht, wie gut besucht und konstruktiv dieser Workshop war. Die, die sich dort für ein Thema einsetzen und die Probleme tatsächlich sehen, werden dann in die Lösungen eingebunden und so findet die Lösung dann letztlich auch Akzeptanz.

In Bad Säckingen haben wir im Rahmen eines Beteiligungsprozesses im September letzten Jahres eine größere Veranstaltung am Münster Platz organisiert. Wir halten bei diesen Veranstaltungen keine theoretischen Vorträge, sondern holen gerne die Akteure, die vor Ort bereits aktiv sind, auf die Bühne. Da meldete sich dann zum Beispiel ein Elektroauto-Fahrer zu Wort, der einen E-Fahrer-Stammtisch gründen wollte. Daraus ist dann der E-Fahrer-Treff Hochrhein entstanden, der sich über Facebook organisiert und Keimzelle für alle geworden ist, die sich vor Ort über die Elektroauto-Praxis informieren wollen. Wir unterstützen die Herausbildung solcher Gruppen aus der Bürgerschaft heraus und stehen mit Rat und Tat zur Seite. Ein Stammtisch eignet sich aber natürlich nicht für jede Kommune.

 

Bild 4: Die Mobilitätskonzepte in den Kommunen stoßen insbesondere dann auf Akzeptanz, wenn die Bürger eingebunden werden

Bild 4: Die Mobilitätskonzepte in den Kommunen stoßen insbesondere dann auf Akzeptanz, wenn die Bürger eingebunden werden. © Initiative Zukunftsmobilität

 

Sie haben im Rahmen Ihrer Projekte auch oft Neuland betreten.

 Ja, wir haben zum Beispiel den ersten vollelektrischen Linienbus im ländlichen Raum installiert. Das war ein Projekt im Schwarzwald, bei dem es eigentlich um etwas ganz anderes ging: Ein Teilortproblem. Das erste Haus wurde gebaut, um die ärztliche Versorgung im Kernort zu sichern, es gab aber keinen Arzt, der für die Teilorte, die weit auseinanderliegen, zuständig ist. Ohne eigenes Auto war es in den Teilorten nicht mehr möglich sich nach heutigem Standard zu versorgen: Weil Einkaufsmöglichkeiten nicht erreicht werden konnten. Wir durften natürlich den ÖPNV nicht doppeln und Taxiunternehmen keine Konkurrenz machen. Noch dazu sollte die Lösung möglichst elektrisch sein und das mitten im Schwarzwald mit bis zu 18 % Steigung.

2015 haben wir dann das Konzept erarbeitet und neue ÖPNV-ergänzende Buslinien installiert. Die elektrischen 20-Sitzer fahren seit 2015 jeden Tag und sind gut ausgelastet. Das waren Sprinter, die wir haben umrüsten lassen und die in ganz unterschiedlichen Formen eingesetzt werden. Auch Bad Säckingen hat einen solchen Linienbus. Ursprünglich hatte die Kurstadt eine Citybuslinie. Die Linienführung ist die gleiche geblieben, nur dass der Bus jetzt elektrisch fährt. Im Moment sind wir viel in Baden-Württemberg, Hessen und Österreich unterwegs, wir haben aber auch schon Projekte in Bayern umgesetzt und sind jetzt wie gesagt auch in der Schweiz vertreten. 

Autonomes Fahren wird immer greifbarer und zum nächsten Trendthema der Branche. Inwieweit können Sie die technische Entwicklung in diese Richtung bei Ihren Projekten schon berücksichtigen?

Konkret umsetzen konnten wir leider noch kein Projekt mit autonom fahrenden Fahrzeugen. Manchmal bekommt man den Eindruck in Deutschland, dass man sich jetzt, da das Thema Elektromobilität gescheitert ist, schnell das nächste Thema sucht. Wir haben im Moment drei laufende Projekte, bei denen es um autonome Bussysteme geht. Bei einem Projektansatz ist es sehr schade, dass es noch keine autonom fahrenden Fahrzeuge im Pkw-Segment auf dem Markt gibt. Gäbe es diese schon, wäre ein konkreter Fall schon gelöst. Wir haben in einem Landkreis ein Konzept erarbeitet, das sämtliche Komponenten von Mitfahrdiensten, Sharing über ÖPNV miteinschließen würde. ÖPNV ist für uns immer ein wesentlicher Bestandteil, ein Rückgrat der Mobilitätslösungen. Uns ist sehr daran gelegen, diesen miteinzubinden und zu stärken. Der ÖPNV soll aber auch nicht zwingend in seiner bestehenden Form weiter ausgebaut werden. Es geht eher darum, Ergänzungen und Verdichtungen im Angebot zu schaffen. Wir haben bei diesem Ansatz das Problem, das wir einen Fahrzeugpool haben, bei dem sich das Mobilitätsangebot deutlich verbessern würde, wenn die Fahrzeuge Teilstrecken autonom fahren könnten. So weit sind wir technisch leider noch nicht, aber das wird in absehbarer Zeit kommen. Meine These ist allerdings, dass wir eher autonom fliegen werden als autonom fahren.

Können Sie über ein zukünftiges Projekt schon mehr verraten?

Im Rahmen unseres Projekts mit Bad Säckingen erarbeiten wir gerade auch ein Zweiradkonzept. Bad Säckingen liegt an der Grenze zur Schweiz im Hochrhein. Auf deutscher und auf Schweizer Seite gibt es eine Bahnlinie und Gewerbegebiete. Insbesondere das Industriegebiet auf Schweizer Seite wächst sehr stark. In den nächsten Jahren werden mehr als 1.000 Arbeitsplätze geschaffen. Die spannende Frage ist deshalb, wie Mobilität so organisiert werden kann, dass die öffentliche Verkehrsachse, primär der Zug, der heute noch keine Verbindung zu den Gewerbegebieten hat, genutzt wird. Es sind einmal grenzüberschreitende Busse gefahren, die es in dieser Form aber nicht mehr gibt. Dieses Problem muss in einem Verkehrssystem gelöst werden, das ohnehin eine viel zu hohe Verkehrsdichte und Auslastung hat. Da sind wir mit den Kommunen beidseits der Grenze auf das Thema Zweirad umgeschwenkt. Es ging somit schnell um Zweiradinfrastruktur.

Gerade entsteht die erste Fahrradstraße in der Schweiz. Wir werden dazu ein Fahrrad- und Pedelec-Verleihsystem einrichten und installieren. Dabei ist der Verleih an sich weniger das Problem, da das System mittlerweile bekannt ist und es auch genug Anbieter gibt. Es findet sich bisher aber kein Anbieter aus Deutschland, der auch in die Schweiz geht und umgekehrt, weil man dabei schnell auf administrative Hürden stößt. Zudem besteht das Problem der EU-Außengrenze, die in ihrer Bewirtschaftung tatsächlich spannend ist. Was innerhalb der EU noch einfacher funktioniert, ist bei Projekten mit Ländern außerhalb der EU oftmals ein Problem. Da müssen Fahrräder verzollt werden. Ich gehe aber davon aus, dass wir diese Hürden noch überwinden werden. Es müssen aber auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass sich das Projekt wirtschaftlich umsetzen lässt. Finanziell kann das nicht nur von den Kommunen gestemmt werden. Es braucht ein System, das sich langfristig trägt. Es geht dabei nicht nur um Nachhaltigkeit, sondern auch die soziale bzw. gesellschaftliche Verankerung und die Ökonomie.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Klaiber. (sih)

  • Portrtfoto Christian Klaiber

    Autor

    Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Christian Klaiber

    Leiter der Initiative Zukunftsmobilität
    Leiter Steinbeis-BeratungszentrumInnovation & Mobilität"

  • Screenshot Mobilittskonzepte Lndlicher Raum Artikeldeckblatt

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