Künstliche Intelligenz zur Absicherung hochautomatisierter Fahrfunktionen

Die Mobilität verändert sich rasant. Auch Entwicklungspartner der Automobilindustrie müssen ihr Dienstleistungsangebot ständig an die Bedarfe ihrer Kunden anpassen. Wie dieser Bereich durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) insbesondere in der Absicherung hochautomatisierter Fahrfunktionen vorangetrieben werden kann, zeigen Christian Schweiger und Martin Ott von ASAP im Fachinterview auf.

Dieser Beitrag ist zuerst in eMobilJournal Ausgabe 05/2018 erschienen.

 

Als Automobilzulieferer und Ingenieurdienstleister begleiten Sie den gesamten automobilen Produktlebenszyklus. Inwiefern ist eine ganzheitliche Betrachtung entscheidend?

Christian Schweiger: Über den gesamten Produktlebenszyklus des Automobils hinweg können wir den Kunden alle Leistungen aus einer Hand anbieten und sorgen so dafür, dass alle Prozessschritte nahtlos ineinandergreifen. Gleichzeitig erhöhen wir auf diese Weise unsere Attraktivität im Markt.

Martin Ott: Der Produktentstehungsprozess (PEP) des Fahrzeugs steht bei ASAP seit jeher im Fokus. Entlang dieses Prozesses bieten wir den Großteil der Leistungen für unsere Kunden an. Viele innovative Themen laufen aber auch parallel zum PEP in einer zum Teil deutlich höheren Zyklusgeschwindigkeit ab oder bekommen in einer späteren Phase Relevanz. Daher ist es für uns als Entwicklungspartner wichtig, dass wir das gesamte Bild vor Augen haben, verstehen und somit auch aktiv mitgestalten können. Darüber hinaus bieten wir unseren Kunden aber auch Leistungen an, die über den PEP hinausgehen, etwa in den Bereichen Technical Service oder Communication Service.

 

Wie hat sich Ihr Angebot an Entwicklungsdienstleistungen in den vergangenen Jahren verändert?

Schweiger: Von Beginn an haben wir uns zielgerichtet auf zukunftsorientierte Technologien fokussiert. Diese Ausrichtung hat sich als richtige und gute Entscheidung erwiesen – in einem durchaus anspruchsvollen Markt war es uns so möglich, ein überproportionales Wachstum zu generieren. Mit über 1.100 Mitarbeitern arbeiten wir Stand heute an deutschlandweit elf Standorten. Unser Angebot an Entwicklungsdienstleistungen erweitern wir dabei natürlich kontinuierlich – schließlich treiben wir die Megatrends der Automotive-Branche gemeinsam mit unseren Kunden voran und stellen entsprechend auch kurzfristig neue Lösungsansätze bereit. Das erfordert generell ein hohes Maß an Flexibilität und vorausschauendem Handeln.

Ott: Wir arbeiten heute nicht nur räumlich losgelöst, sondern auch inhaltlich beziehungsweise was die Umsetzung angeht sehr viel eigenständiger von unseren Kunden an klar definierten Problemstellungen und Aufgaben. Dafür benötigen unsere Mitarbeiter neben der erforderlichen Entwicklungskompetenz auch die passende Infrastruktur. Das führt dazu, dass man sich als unabhängiges und mittelständisches Unternehmen sehr genau überlegen muss, auf welche Zukunftsfelder man sich ausrichtet und wie man diese erschließen kann. Wir ergänzen das mit strategischen Partnerschaften und Kooperationen und sind so sehr flexibel bei neuen Anforderungen und erhalten unsere hohe Agilität am Markt. Ein Beispiel dafür ist unser klarer Fokus auf das Thema Elektromobilität und damit verbunden die Investition in unsere Hochleistungs-Prüfstände für Elektromaschinen, deren Leistung wir gemeinsam mit unserem Technologiepartner Kratzer Automation nochmals verbessern konnten. 

 

Ist die Elektromobilität Ihrer Meinung nach der Schlüssel für eine umweltfreundliche und ressourcenschonende Zukunft?

Ott: Aus meiner Sicht gibt es nicht ‚den‘ Schlüssel, sondern man muss sich die sehr komplexen Wechselwirkungen aus länderspezifischen Gesetzgebungen, der jeweiligen Energieerzeugung, der Infrastruktur und den lokalen Nutzerprofilen/Fahrzyklen ansehen. Wenn es jeweils ein auf die Elektromobilität ausgelegtes Zukunftsszenario gibt, also man die Voraussetzungen dafür weiter verbessert, dann wird die Elektromobilität eine zunehmend bedeutendere und umweltfreundlichere Mobilitätslösung werden.

Schweiger: Ich kann dem Kollegen hier nur zustimmen. Auch in Zukunft wird es neben elektrischen oder Hybrid-Antrieben auch Verbrennungsmotoren geben sowie eine steigende Anzahl von Brennstoffzellen- oder Wasserstofffahrzeugen. Langfristig wird sich die Elektromobilität meiner Meinung nach vor allem im urbanen Räumen durchsetzen – auch das jedoch sehr stark regions- beziehungsweise länderabhängig. Erst in Kombination mit einem hohen Prozentsatz an erneuerbaren Energien kommen die Vorteile einer flächendeckenden Elektromobilität voll zum Tragen.

 

Wie können alternative Antriebstechnologien so effizient werden, dass sie mit herkömmlichen Technologien mithalten, diese vielleicht sogar überflügeln?

Ott: Die Frage impliziert, dass herkömmliche Antriebstechnologien effizienter sind. Ich habe so viele unterschiedliche Ökobilanzen gesehen, dass ich mir nicht sicher bin, ob wir das heute wirklich abschließend bewerten können. Was es sicher braucht, um die Bilanz der Elektromobilität noch weiter zu verbessern, ist eine Steigerung des Anteils an regenerativen Energiequellen und das nicht nur in Deutschland. Wenn dann noch die Fahrzeuge spezifischer an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden können, sprich sie kleiner und leichter werden könnten, dann sind sie gegenüber konventionellen Antrieben im Vorteil.

Schweiger: Dem möchte ich noch hinzufügen, dass ein Elektrofahrzeug seine Stärken zum heutigen Zeitpunkt in urbanen Räumen schon richtig ausspielt – hier sehe ich den Elektroantrieb im Vorteil. Insbesondere in Kombination mit autonomem Fahren sehe ich die Elektromobilität als bedeutende Mobilitätslösung der Zukunft.

 

Die Investitionen der Automobilindustrie in die Elektromobilität haben in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Dennoch scheint es, als würden insbesondere in Deutschland entscheidende Innovationen noch zurückgehalten. Täuscht dieser Eindruck?

Schweiger: Meiner Meinung nach täuscht der Eindruck – OEMs und Tier1 haben den Trend des Wandels erkannt und investieren massiv. Einzige Ausnahme sind hierbei aus meiner Sicht aktuell noch die HV-Batterie-Forschung und -Entwicklung.

Ott: Das sehe ich auch so. Die deutsche Automobilindustrie wird in den kommenden zwei Jahren mit sehr begehrenswerten Elektrofahrzeugen in größeren Stückzahlen auf den Markt kommen. Parallel versucht sie, das Kundenerlebnis zu verbessern, indem sie auf dem Feld der Ladeinfrastruktur gemeinsam vorgeht. Trotzdem wird die Elektromobilität zunächst noch einen kleinen Teil ihres Geschäfts ausmachen, was für eine erhebliche finanzielle Belastung sorgt. Wichtig wird sein, dass die Automobilindustrie dann lieferfähig ist, wenn es ein starkes Marktwachstum gibt.


Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie könnten bei der Umstellung auf Elektromobilität zehntausende Jobs wegfallen. Wie schätzen Sie selbst die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ein?

Ott: Die prognostizierten Zahlen schwanken ja sehr stark, je nachdem welches Szenario man zugrunde legt. Dass es in den spezifisch betrachteten Bereichen zu einer Reduzierung kommen muss, wird einem klar, wenn man sieht, dass die durchschnittliche Zahl der benötigten Teile im Antriebsstrang um bis zu 80 Prozent sinken kann. Dem gegenüber steht, dass wir auf den Gebieten der Digitalisierung bereits heute einen absoluten Mangel an Fachkräften haben.

Schweiger: Mittel- und langfristig gehe ich ebenfalls eher von einer ‚Verschiebung‘ aus. Traditionelle Berufsfelder werden zurückgehen, hingegen Berufe mit beispielsweise Software-Background werden weiter an Attraktivität gewinnen. Neue Technologien und Aufgabenstellungen werden den Bedarf an Fachkräften steigen lassen.

 

Welche Dienstleistungen bieten Sie an, um die Automobilindustrie bei der Entwicklung leistungsstarker Antriebstechnologien für die Zukunft zu unterstützen?

Schweiger: Eine ganzheitliche Betrachtung steht bei uns wie schon erwähnt im Fokus – so auch im Bereich Elektromobilität. Dabei umfasst unser Leistungsspektrum den gesamten Entwicklungsprozess – angefangen bei Systemanalyse und -simulation sowie der anschließenden System- und Komponentenentwicklung. Darüber hinaus übernehmen unsere Experten auch die folgenden Entwicklungsschritte von der Verifikation, Validierung und Fahrzeugintegration bis hin zu Fahrversuchen und Applikation. Begleitend zum Entwicklungsprozess bieten wir zudem durchgängig Consulting- sowie Projekt- und Prozessmanagement-Leistungen an.

 

Neben der Elektromobilität unterstützen Sie Ihre Kunden aber auch bei der Entwicklung von autonomen Technologien. Wie können Algorithmen noch intelligenter werden, damit sie tatsächlich selbstständig auf Verkehrssituationen reagieren können?

Ott: Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem maschinellen Lernen und sind der Auffassung, dass heutige Technologien bereits sehr gut in der Erkennung von Verkehrssituationen geworden sind. Eine solche Beurteilung ist uns möglich, da wir intelligente Testsysteme anbieten, die bei der Validierung der Algorithmen unserer Kunden unterstützen. Auch da gibt es erst wenige Standards – die werden derzeit noch gemeinsam entwickelt. Final ist das immer eine Frage von Rechenleistung sowie der Datenqualität und -auswahl, die man für das ‚Trainieren‘ der Algorithmen bereitstellen kann. Ein erfahrener Autofahrer verfügt über viel Intuition und Voraussicht, die kann man nur sehr schwer in ein technisches System implementieren.

Schweiger: Der Kollege hat das schon gut zusammengefasst – unter anderem treiben wir das autonome Fahren durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Entwicklung und insbesondere der Absicherung hochautomatisierter Fahrfunktionen voran. In einem aktuellen Projekt setzen unsere Experten aus der Modellbildung und Simulation beispielsweise KI bei einem Prüfszenario ein, in dem ein autonom fahrendes, elektrifiziertes Fahrzeug ein Überholmanöver bei Gegenverkehr durchführen soll. Sie validieren die Kombination der Vorhersagemodelle, welche die physikalischen Effekte eines solchen Testszenarios beschreiben, unter Einbezug verschiedenster Einflussfaktoren.

Solche Einflussfaktoren sind unter anderem Störterme in Daten aus Temperatur-, Geschwindigkeits- oder Drehmoment-Sensoren im Fahrbetrieb sowie unterschiedlichste Parameter wie etwa geometrische Toleranzen beziehungsweise Software-Applikationen. Dabei erstellen die Kollegen statistische Modelle, die aufzeigen, welche Parameter und Störterme in der Validierung berücksichtigt werden müssen. Im Anschluss nutzen sie maschinelle Lernverfahren, um zu identifizieren, welche der Konfigurationen Fehler verursachen oder möglicherweise kritisch für den Fahrzeugbetrieb – beziehungsweise in unserem Beispiel das Überholmanöver – sind. Durch den Einsatz von KI können wir gemeinsam mit unseren Kunden Fahrzeuge entwickeln, die selbständig auf verschiedene Verkehrssituation reagieren. 

 

Technisch sind viele Automatisierungsfunktionen längst möglich. Bislang fehlt aber in Europa noch die entsprechende Zulassung, um diese Systeme tatsächlich einzusetzen. Wann ist Ihrer Meinung nach ein Durchbruch zu erwarten und wie kann dieser Prozess beschleunigt werden?

 

Schweiger: Der ‚Durchbruch‘ gelingt aus meiner Sicht nur bei beziehungsweise mit einer europaweiten Regelung. Dies erfordert auch den kompromisslosen Konsens der OEMs und Tier1 bezüglich der Gesetzgebung. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass es technisch bei weitem noch nicht möglich ist. Flaschenhals ist technisch gesehen die Sensorik und die damit verbundene hundertprozentige Zuverlässigkeit.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Schweiger und Herr Ott. (fei)

 

  • Christian Schweiger

    Interviewpartner

    Christian Schweiger

    Geschäftsführer der ASAP Electronics GmbH sowie der ASAP Engineering GmbH Ingolstadt.

  • Martin Ott

    Interviewpartner

    Martin Ott

    Geschäftsführer der ASAP Engineering GmbH Weissach

  • Screenshot Artikeldeckblatt ASAP

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